Breaking News
vorübergehend.
Fest steht, ein Kapitel ist zu Ende gegangen.
Unwiederbringlich.
Nach Hebron sehen Juden und Araber einander mit anderen Augen. Stein des Anstoßes bleibt die Einwanderungspolitik der Briten, denen es nicht gelingen will, den Zustrom zu begrenzen. Tatsächlich kommen keineswegs nur glühende Zionisten, viele versuchen schlichtweg, dem Verderben zu entrinnen, das sich in Europa und auf dem Kaukasus zusammenbraut. In den Augen der Araber hingegen muss die ungezügelte Immigration zwangsläufig ihre Vertreibung zur Folge haben. Mit Macht beginnt sich die arabische Nationalbewegung gegen die zionistische zu stemmen. Extremisten beider Seiten erklären die friedliche Koexistenz für gescheitert, die Straßen Jaffas, Haifas, Nablus’ und Jerusalems erbeben unter Protesten, friedlich zwar, doch in den Hinterzimmern brütet der Terror.
Kinder lässt man in solchen Zeiten nicht gern aus den Augen, ihr Schulweg, ihr ganzes Leben wird strengster Bewachung unterworfen.
Doch Kinder sind wie Wasser.
Als Jehuda und Benjamin sich im Wettlauf üben, hohes Gras gegen ihre Schenkel schlägt, die Häuser hinter Bäumen und Dickichten zurückbleiben, sind keine Erwachsenen mehr zu sehen. Nur das Paradies ihrer Kindheit, das keines ist und nie eines war.
Jehuda rennt eine Anhöhe hinauf. Dann merkt er, dass Benjamin zurückgefallen ist, bleibt stehen und dreht sich um.
Au backe.
Aber so was von zurückgefallen.
Sein Zwillingsbruder, doch in letzter Zeit fühlt sich Jehuda eher wie der Ältere von ihnen beiden.
Vielleicht, weil Benjamin so klein ist.
Und so schlecht bei Puste.
Andererseits viel schlauer. Tatsache. Wahnsinnig schnell von Kapee. Wenn ihnen einer was erklärt, hat Ben es schon begriffen, während Jehuda noch dumm in der Nase bohrt. Da ist er fast ein bisschen neidisch auf den Kleinen. Muss ihm gelegentlich klarmachen, dass Köpfchen nix wert ist, wenn man nicht auch andere Dinge kann.
Und Benjamin kann eine Menge nicht.
Klettern. Balgen.
Laufen.
Auch jetzt hechelt er hinterdrein, schweißnass und puterrot, und plötzlich, wie aus heiterem Himmel, vernimmt Jehuda die Stimme seines schlechten Gewissens, besser gesagt Rachels Stimme:
»Ben ist nicht so kräftig wie du, Jehuda. Gib ein bisschen auf ihn acht, hab ein Auge auf ihn.«
Das hat sie gesagt.
Und nicht, reib ihm unter die Nase, was für eine lahme Ente er ist.
Wie niederträchtig.
Pfui!
Wo du genau weißt, dass er nicht mithalten kann.
Ja, so ein schlechtes Kindergewissen – ganz was anderes als ein Erwachsenengewissen. Mehr, als ob einem ein Himmel aus Schuld auf den Kopf fällt. Man wird käferklein, schämt sich in Grund und Boden, Weltuntergang.
Man ist nur noch –
SCHULD .
Er hat was gutzumachen.
»Ich hab gefuscht«, ruft er.
Benjamin erklimmt den Hügel und plumpst keuchend ins Gras.
»Wie, du hast gefuscht?«
»Beim Laufen. Eigentlich hast du gewonnen.«
»So ein Quark.«
»Doch.«
»Wie kann man denn beim Laufen fuschen?«
»Na ja, ich –«
Typisch. Mal wieder nicht zu Ende gedacht. Benjamin ist einfach zu schlau, der durchschaut solchen Zinnober. Jehuda muss sich schnell was einfallen lassen, schaut umher – und erblickt Arik, wie er mit einem Ast auf die Köpfe roter Anemonen eindrischt, dass die Blütenblätter fliegen.
»Hey, Bu –«
Presst die Lippen aufeinander.
Bulle, wollte er sagen, so wie die meisten Kinder Scheinermanns Jungen nennen. Arik hat die Zwillinge noch nicht bemerkt, also kann Jehuda ihn ein bisschen studieren und über ihn nachdenken. Dicklich um die Hüften, fällt ihm auf. Nicht so toll, äußerlich. Daher der Spitzname. Eigentlich gemein, und wo er gerade in so herrlich reumütiger Stimmung ist, korrigiert er sich:
»Hey, Arik!«
Keine Antwort.
»Wie geht’s denn immer so?«
Arik schaut her, wieder weg. Widmet sich weiterhin der Aufgabe, Anemonen die Köpfe abzuhauen.
Oh Mann, zähe Angelegenheit. Doch Jehuda ist beseelt von seiner Läuterung, mag nicht aufgeben.
»Was machst du da?«
»Nichts.«
»Danach sieht’s aber nicht aus.«
Arik zuckt die Achseln. Steht unentschlossen im Blütenmeer und blinzelt in die Sonne.
»Sollen wir irgendwas spielen?«
»Was denn?«
»Jedenfalls nicht Wettlauf«, mault Benjamin im Gras.
»Wir können zum Bewässerungstank gehen. Schwimmen.«
Arik zögert.
Dann endlich kommt er, seinen Ast hinter sich herschleifend, zu ihnen rüber.
Er strahlt Einsamkeit aus. Ein Kind, das seinen Frust an Blumen auslässt. Wobei das Problem
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