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das. Was sonst? Bis auf die Scheinermanns sind alle Moschawniks Mitglieder der Mapai, der Arbeitspartei, die von einem gewissen David Ben Gurion geführt wird. Im Hause Kahn wird viel über so was geredet, darum weiß Jehuda, dass Ben Gurion findet, Juden und Araber sollten sich vertragen und Seite an Seite in Palästina leben, sodass jeder sein eigenes Land hat. Anders die Revisionisten. Schrecklich kompliziertes Wort! Jedenfalls fordert die Weltunion der Zionistischen Revisionisten eine Besinnung auf die »ursprünglichen Ziele«, die offenbar darin bestehen, den Juden ganz Palästina zu geben und zwecks dessen so viele von ihnen wie möglich ins Land zu holen. Und als sie nun den Arbeiterführer vergangenen Sommer im Hafenviertel von Tel Aviv niederschossen, hieß es bei Mapai natürlich sofort, das waren die Revisionisten, worüber sich Ariks Vater derart mit der Dorfbevölkerung in die Wolle gekriegt hat (weil er behauptet, es seien Araber gewesen), dass sie ihn jetzt nicht nur als Rechten beschimpfen, sondern auch noch als Fanatiker.
»Aber ich halte zu meinem Vater.« Arik packt seinen Ast fester,schiebt das Kinn vor. »Wer durchhält, kann jeden Feind besiegen, und wenn er noch so überlegen ist.«
Das klingt eins zu eins nach Samuel Scheinermann.
Benjamin nickt. »Unsere Mutter ist auch manchmal traurig.«
»Ja, aber sie hat keine Brieftage«, sagt Jehuda und lacht blöde.
»Weswegen ist sie denn traurig?«, will Arik wissen.
»Wegen Berlin.«
»Berlin?«
»Unsere Eltern kommen aus Deutschland. Sie sagt, sie wäre viel lieber da geblieben, aber sie hätten weggemusst.«
»Mein Vater erzählt, in Deutschland bringen sie Juden um.«
»Deswegen sind sie ja weg.« Benjamin zuckt die Achseln. »Ich weiß auch nicht. Sie hat trotzdem Heimweh. Meist lacht sie, aber manchmal ist sie so – mutlos.«
»Ja, meine auch! Mutlos!«
Heimweh.
Mutlos.
Oh Mann. Auf so Wörter wäre Jehuda jetzt nicht gekommen. Es hilft alles nichts, Benjamin kann einfach besser quatschen als er.
Die Zeit fließt dahin. Es ist, als träfen sie Arik zum ersten Mal, dabei haben sie schon als Kleinkinder nebeneinander auf dem Sofa gelegen, wenn ihre Eltern Musik gemacht haben, oft mit virtuoser Unterstützung aus benachbarten Dörfern und Städtchen, wo Samuel Scheinermann mehr Freunde hat. Haben seiner dramatischen Rezitation russischer Dichter gelauscht, ohne ein einziges Wort zu kapieren. Sind quäkend unter Tischen und Stühlen durchgekrabbelt, eigentlich müssten sie alles voneinander wissen.
Doch da waren sie Babys. Das zählt nicht, und danach herrschte irgendwie Funkstille.
Erst jetzt lernen sie einander richtig kennen, und wie es aussieht, haben sie eine Menge Gemeinsamkeiten.
Mutlose Mütter zum Beispiel.
»Au weia!« Arik springt plötzlich auf. »Ich muss nach Hause. Ich muss die Hunde füttern.«
»Welche Hunde?«
Jehuda kann sich nicht entsinnen, auf dem Scheinermann’schen Hof je einen Hund gesehen zu haben.
»Mein Vater hat gestern zwei mitgebracht.«
Zur Abschreckung.
Gegen Araber und marxistisch-zionistische Dumpfbacken.
»Aber morgen spielen wir was!«
Arik lächelt.
Endlich lächelt er mal.
Geht nach Hause, den Stock hinter sich herziehend.
Schonzeit für die Anemonen.
Das Treffen mit den Kahn-Zwillingen hat ihm richtig gutgetan, doch, und wie unterschiedlich die sind! Schon erstaunlich. Der kleine, schmächtige Benjamin. Aber er hat eindeutig mehr Grütze im Kopf, das konnte man merken. Andererseits, mit Jehuda befreundet zu sein, scheint nicht minder erstrebenswert, der ist stark, lässt sich garantiert nichts gefallen, mit dem kann man Pferde stehlen.
Plötzlich wird Arik klar, dass er Freunde hat.
Im selben Moment trifft ihn der Stein.
Er prallt gegen seinen Oberarm und hinterlässt einen ziehenden Schmerz, gefolgt von mehrstimmigem Gelächter.
Zwei Jungs kommen aus den Büschen.
Arik kennt sie. Zwei, die ihn noch viel weniger leiden können als der ganze Rest. Machen unentwegt Stimmung gegen ihn.
»Bulle!«
Arik hält sich den Arm.
»Dicker, fetter Bulle!«
Tränen schießen ihm in die Augen, Tränen der Wut. Er hebt seinen Stock und geht drohend ein Stück auf sie zu.
Sie weichen ihm aus, lachen.
»Bulle, Bulle, dämlich wie ’ne Pulle! Wie ’ne leere Pulle!«
Rennen davon.
Arik geht nach Hause, wo ihn jetzt mit Sicherheit ein Donnerwetter erwartet, weil er schon längst hätte zurück sein sollen. In ihm siedet glühende Scham, doch etwas ist anders als sonst.
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