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Mund zu nehmen«, findet Vera, die ihrerseits zu Hause Russisch spricht, als wären die Bolschewiken freundlich mit ihr umgegangen, und Rachel erwidert: »Ich lasse mir von dem Drecksnazipack nicht meine Muttersprache vermiesen!«, die gar nicht ihre Muttersprache ist, nur gefühlt, und dann gehen sie zum Einkaufen gemeinsam an Plakaten entlang, auf denen in fetten Lettern »Jude, sprich hebräisch!« steht.)
»Vielleicht traut sie sich ja nicht hin«, gibt Arik zu bedenken. »Wegen der ganzen Araber.«
»Was tun die denn?«, fragt Benjamin.
»Weißt du doch, was die tun. Die überfallen uns, nehmen uns alles weg und töten uns.«
Die differenzierte Weltsicht eines Siebenjährigen. Jehuda schaut sich um, als lägen sie schon hinter den Büschen.
»Komisch. Wir kaufen immer Granatapfelsaft bei denen.«
»Meine Mutter sagt, man kann keinem Araber trauen.«
»Es ist ihr Land ebenso wie unseres«, wiederholt Jehuda förmlich, so wie er es seinen Vater zu Samuel hat sagen hören.
»Dieses hier aber nicht.«
»Wieso nicht?«
»Das haben wir den Beduinen abgekauft.«
»Dein Vater?«
»Nicht mein Vater. Wir halt.« Schon wieder dieses rätselhafte Wir. »Und dann wollten sie es uns wieder wegnehmen. Obwohl es jetzt uns gehört hat. Nachts sind sie gekommen. Meine Mutter hat erzählt, wie sie mit mir im Stall gesessen hat.«
»In welchem Stall?«
»Drüben im großen Kuhstall.«
»Haha!«, lacht Benjamin, als er sich das vorstellt. »Hahaha!«
Vera Shneorov mit Arik in Kuhscheiße hockend.
»He, ihr wart auch dabei«, sagt Arik. »Alle waren da! Und weißt du, was die Araber wollten? Uns die Hände abhacken. Und die Köpfe. Die fressen Kinder, im Ernst.«
»Was?«, gruselt sich Benjamin. »Das ist ja ekelhaft.«
»Das ist Schwachsinn«, sagt Jehuda. »Unser Vater kennt jede MengeAraber, in Tel Aviv gehen wir immer in so einen Stinkladen mit Pfeifen und Zigaretten, und dann unterhalten sie sich und lachen.«
»Trau ihnen bloß nicht«, sagt Arik düster.
Macht einen auf theatralisch, denn dass Araber Kinder fressen, hat ihm Vera Shneorov garantiert nicht erzählt. Aber dass sie seit jenen Nächten im Stall panische Angst vor jedem hat, der Arabisch spricht oder nur arabisch aussieht, ist unbestritten.
Sie ist geradezu traumatisiert.
Trichtert Arik das Misstrauen mit Löffeln ein.
Trau keinem Araber!
Niemals, unter keinen Umständen.
Wenig später lernt Arik, was sie damit meint.
1937
In einer schauerdurchzogenen Aprilnacht, kurz nach zwölf, erhebt sich Muhammed Izz ad-Din al-Qassam aus seinem Grab und bringt gewaltiges Unheil über Kfar Manin.
Seine Finger sind glühende Scheite, sein Atem versengt das Land.
Wladimir Manin hört ihn kommen.
Legt an.
Auf einen Toten.
Man muss sagen, Palästina ist mit Auferstehungen bestens vertraut. Postmortales Herumgeistern, Leute erschrecken und zum Himmel fahren gehört sozusagen zum guten Ton, doch wie al-Qassam seine Wiederkehr auf die Spitze treibt, gibt Anlass zur Sorge. Vor fünf Monaten beerdigt, verlässt der Imam sein Grab inzwischen öfter als der Hochkommissar von Jerusalem seine Residenz. Lief man neutestamentarischen Wiedergängern noch persönlich über den Weg und wechselte gar das ein oder andere Wort mit ihnen, manifestiert sich al-Qassam ausschließlich in Gestalt seiner Anhänger, die seinen Geist in diesen Tagen immer öfter heraufbeschwören, mit fatalen Folgen.
Al-Qassam ist ein Märtyrer.
Und von allen Untoten machen Märtyrer den meisten Ärger.
Ein rascher Blick auf diesen Mann: Syrischer Gelehrter und fanatischer Nationalist, schon früh auf Konfrontationskurs mit Ausländern, bei alledem tief religiös. Genau der richtige also, um Imperialisten das Leben schwer zu machen. Als Italien 1911 Libyen vereinnahmt, propagiert er den Dschihad gegen die Ungläubigen, leistet türkischen Soldaten im Weltkrieg seelischen Beistand und widmet sich nach dessen Ende mit Inbrunst dem Kampf gegen die Besatzer seiner Heimat, in diesem Fall La Grande Nation. Allerdings erweisen sich die Franzosen als geschickte Agitatoren, sie spalten den ohnehin heillos zerstrittenen Widerstand. Syrien versinkt im Chaos, Prinz Faisal greift nach der Krone, wird belagert, al-Qassam flieht über Beirut nach Haifa – und hier nun beginnt seine Mystifizierung, nämlich als Imam der Istiqlal-Moschee, Hätschelkind des Muslimischen Rates, Vertrauter des Muftis von Jerusalem, Prediger der von Gott gewollten arabischen Nation.
Was den Juden die Revisionisten, sind
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