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den Imam nicht einfach in seiner Höhle haben verschimmeln lassen.
Als Toter ist er jedenfalls fideler denn je. Wächst zu einer Größe heran, die er im Leben nie besaß. Jeder vergossene Tropfen seines Blutes, scheint es, lässt neue Widerstandsgrüppchen aus dem Boden sprießen. Glühende Idealisten Seite an Seite mit gewöhnlichen Kriminellen, denen das Plündern und Vergewaltigen so sehr am Herzen liegt, dass sie den Sturm begeistert mit entfachen. Hab und Gut der Zionisten werden niedergebrannt, die Nachschubrouten der Besatzer vermint, Hinterhalte gelegt. In den muslimischen Dörfern lagert der Nachlass des Osmanischen Reichs, Säbel, Gewehre, Mörser. Alles wird konfisziert. Kein Schießprügel ist zu rostig, dass man ihn nicht noch auf irgendwen abfeuern könnte, und spielt Allah ihnen in seiner Güte gar ein französisches Maschinengewehr in die Hand, müssen britische Piloten damit rechnen, unversehens vom Himmel geschossen zu werden.
All dem hat das Empire wenig entgegenzusetzen.
Der Rebellion den Kopf abzuschlagen, würde erfordern, ihr Hauptquartier zu kennen, doch es gibt keines. Die Kämpfer agieren in kleinen, mobilen Verbänden. Geschlafen wird in freier Natur, alle paar Stunden der Standort gewechselt, Maultiere schleppen die Utensilien des Widerstands von Dorf zu Dorf, wo man Unterschlupf und Verpflegung nötigenfalls erpresst. Mit der Zeit entwickelt die arabische Landbevölkerung mehr Angst vor ihren Befreiern als vor sämtlichen Zionisten zusammen, mit denen man eigentlich, wie ihnen plötzlich auffällt, in ganz guter Nachbarschaft gelebt hat. Die Fedajin hingegen plündern sie aus, erheben Schutzgeld und Rebellensteuer, richten willkürlich Kollaborateure hin, die meist gar keine sind, nur dass so eine Rebellion prachtvolle Chancen bietet, persönliche Streitigkeiten zu regeln. Al-Qassam jedenfalls würde sich im Grabe herumdrehen, etlichen der »Aufständischen« sind seine Visionen von Herzen egal, aber wann immer sie über Briten, Juden oder ihresgleichen herfallen, führen sie seinen Namen auf den Lippen.
So wie in jener Aprilnacht.
Als Wladimir Manin plötzlich erwacht, ein Brausen im Ohr, als kündige sich Armageddon an.
Glutphantome irrlichtern über Zimmerwände und Decke.
Er springt aus dem Bett, schaut aus dem Fenster. Erblickt einen Dom aus rotem Licht über Kfar Manin, der ganze Himmel scheint zu brennen. Ergreift sein Gewehr, schreit das Haus wach, stürmt im Nachtgewand nach draußen, Flüche und Verwünschungen ausstoßend.
Sieht al-Qassams umtriebigen Geist am Werk.
Gestalten, die mit Fackeln durcheinanderlaufen, eifrig seine Felder in Flammen setzen, seine Orangenbäume entzünden, den Stall abfackeln.
Wie Dämonen erschienen sie ihm, schwarz vor rot.
Doch Manin hat keine Angst. Nicht vor dem Teufel persönlich, und schon gar nicht vor dessen Abgesandten. Er ist der Patriarch, Oberhaupt der kleinen russischen Enklave unweit Kfar Malals, unumschränkter Herrscher. Mit 76 kein junger Mann mehr, doch ausreichend bei Kräften, um denen da den Weg zu weisen, gesegnet mit scharfen Augen und sicherer Hand, und keine Flamme schlägt in diesem Moment so hoch wie die seiner Wut.
Er legt an, feuert.
Eine der Gestalten bricht zusammen.
Manin lädt nach, nimmt den nächsten Angreifer ins Visier, krümmt den Finger, bereitet sich auf den Rückstoß vor –
Sein Kopf explodiert.
Plötzlich liegt er am Boden. Fühlt sich an den Beinen gepackt, über feuchtes, schmatzendes Erdreich geschleift. Hört die Stimmen seiner Söhne, Schwäger, Brüder, die nun ebenfalls ins Freie gelaufen kommen.
Jemand tritt ihm in die Seite.
Manin heult auf.
Ein entsetzliches Gefühl der Machtlosigkeit erfasst ihn. Er zappelt, schlägt um sich. Kann nichts dagegen tun, dass Hände ihn packen, hochzerren, ihm eine Schlinge um den Hals legen.
Sie wollen mich lynchen, denkt er.
Aber das geht nicht. Hier muss ein Irrtum vorliegen. Ich habe doch nicht den bolschewistischen Terror überstanden, Gefängnis, Folter und Verhör, die Strapazen der Flucht, den Neuanfang gewagt, damit ihr mich jetzt einfach so aufknüpft.
Das könnt ihr nicht tun!
Er wehrt sich. Sie schlagen ihm ins Gesicht. Werfen das Seil über den Ast des Orangenbäumchens, zu dem sie ihn geschleift haben, ziehen es straff. Der Strick schneidet tief in seinen faltigen Hals, zerquetscht seinen Kehlkopf, schnürt ihm die Luft ab.
Nein! Nein!
Nicht so.
Aufrecht steht er da, nur noch auf den Zehen. Sieht wie durch einen Nebel
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