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kaum noch ertragen. Da nun endgültig feststand, dass er nie einer der ihren sein würde, verlor er jeden Bezug zu ihnen. Sie gingen ihrer geheimen Existenz verlustig, demaskierten sich als Erfindungen, bis nichts mehr von ihnen blieb als Druckerschwärze.
Hinterließen eine entsetzliche Leere.
Benjamin wurde einsilbig. Er begann sich zu fragen, warum es ihn überhaupt in die Welt geworfen hatte, suchte nach Gründen für sein Dasein, lotete Schmerz und Enttäuschung aus.
Es half alles nichts.
Er war nutzlos.
Ihm kam nicht die mindeste Bedeutung zu.
1939
ist Tel Aviv eine schimmernde Perle, ein Experiment in moderner Architektur, weiß und strahlend vor der blauen Kulisse des Meeres. Palmenbestandene Boulevards, Geschäfte, Banken, Kinos, Bars, Theater, Kasinos. Nichts von Jerusalems musealem Pathos, keine historienschweren Monumente oder Nachempfindungen litauischer Schtetl wie Mea Schearim, keine orientalische Verspieltheit. Von Anfang an schienen Tel Avivs Erbauer bestrebt, das prosperierende Weltstädtchen so europäisch wie möglich zu gestalten, sogar ein bisschen amerikanisch darf es sein, und auf alle Fälle säkular.
Glanzvoller natürlich ist das Parkett in Jerusalem.
Hier tanzt das Empire.
Tanzt auf dem Berg des bösen Rates.
Rauschende Empfänge, große Bälle. Bleiche englische Ladys, mit Kopf und Schoß die glutäugigen Wüstensöhne ihrer von Romanen verzuckerten Fantasie herbeisehnend.
Bibelromantiker und Exzentriker beim Champagner.
Offiziere, Diplomaten und Geschäftsleute in schwül dekorierten Raucherzimmern, darin einig, dass den Arabern Unrecht geschehe und man die jüdische Einwanderung begrenzen müsse. Stolz, es versucht zu haben. Vor neun Jahren, mit dem Passfield-Weißbuch: Noch ein paar Tausend Juden, ein paar Tausend Araber, dann ist Schluss.
Enttäuscht, dass es nicht geklappt hat.
Weil nämlich Chaim Weizmann in London auf die Balfour-Deklaration pochte und derart berührend von verratener Liebe sprach, dass das Empire die Einwanderungsbeschränkung wieder kippte.
Aufschrei der Araber.
Die garstige Pointe daran war, dass führende Vertreter der britischen Regierung allen Ernstes annahmen, Weizmann regiere insgeheim Großbritannien und diktiere Ramsay MacDonald seine Wünsche in die Feder, weshalb sie vorauseilend einknickten und Weizmann dadurch erst Macht zugestanden, die er tatsächlich nie besessen hatte. Mit der Wiederkehr von Grippe grassierte das Gerücht, die Juden regierten die Welt, hirnrissig wie die meisten Verschwörungstheorien, allerdings auch ebenso langlebig. Seitdem sind die Araber gekränkt, und die Briten fühlen sich vorgeführt und überrumpelt. Was haben sie nicht alles unternommen, um den Juden ihren Wunsch nach einer nationalen Heimstätte zu erfüllen.
Doch die sind undankbar.
Unersättlich.
Nicht im Mindesten zum Kompromiss bereit.
Als Folge identifiziert sich das Empire zusehends mit der arabischen Seite. Auch, weil deren Aufständische lieber Anschläge auf jüdische Siedler verüben als auf Einrichtungen der Besatzer. Natürlich ist man über die Gewalt besorgt, ein arabischer Generalstreik würde der ohnehin fragilen Infrastruktur Palästinas das Kreuz brechen, die anhaltenden Demonstrationen der Muslime gegen die unbeschränkte jüdische Einwanderung beginnen an den Nerven zu zerren, aber wie gesagt:
»Man muss die Enttäuschung der Araber verstehen.«
»Und unsere nicht?«, fragt Schalom, als Dave Carmichael ihnen auf seiner kleinen Terrasse hausgemachte Limonade serviert. »Was ist aus den Zusagen der Balfour-Deklaration geworden? Wie sollen wir je einen eigenen jüdischen Staat –«
»Jüdische Heimstätte«, korrigiert ihn Tufik as-Azuri.
» Nationale jüdische Heimstätte!«
Eine Gruppe Halbwüchsiger zieht am Café vorbei, Araber, die meisten kaum älter als siebzehn. Verwahrlost und demoralisiert. Einige sind so betrunken, dass sie über ihre eigenen Füße fallen. Singen irgendein Lied, dessen Melodie ihnen entgleitet, verschwinden torkelnd und lärmend in einer Seitengasse.
Es ist offensichtlich, wohin sie wollen. Der Weg führt in Tel Avivs Abseits: Bordelle, Spielklubs, Rauschgifthöhlen.
As-Azuri schaut ihnen hinterher.
»Da geht er hin, der arabische Nationalstolz.«
»Damn it.« Carmichael stellt eine Schale mit Datteln und Nüssen vor sie hin. »Traurig, aber wahr.«
»Und wenn sie so tief gefallen sind, dass es tiefer nicht geht, nimmt sich der Imam ihrer an. Sie wissen es noch nicht, aber schon bald
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