Breaking News
abspielt?«
»Wasch dir die Ohren. Rachel und ich haben ein Land verlassen, von dem wir nie dachten, es einmal verlassen zu müssen. Weil wir spürten, was inzwischen für jedermann offensichtlich ist. Die Nazis propagieren unsere Vernichtung. Und nicht nur die, es hat schon was Epidemisches, wie überall auf der Welt Ressentiments aufbrechen, und seien wir ehrlich, überrascht uns das? Nein. Vertreibung ist unsere Folklore. Nur scheint die Welt diesmal entschlossen, ganze Arbeit zu leisten. Ob es dir gefällt oder nicht, Palästina ist für die Juden eine Überlebensfrage. Ein gigantisches Asyl. Nicht eben die Idealvorstellung, die man sich von einer neuen Heimat macht, aber wo sollen wir sonst hin? Was bleibt uns denn anderes übrig? Kannst du nicht begreifen, dass wir es leid sind, für alles verantwortlich gemacht zu werden?« Kahn haut mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wie fändest du es, aus deinem Haus verjagt und in einem Atemzug bezichtigt zu werden, es nur darum verlassen zu haben, um andere aus ihrem zu verjagen?«
»Aber genau das passiert doch.«
»Wir haben aber nicht darum gebeten, dass man uns einen Stern auf die Brust näht und uns interniert. Wir haben die Bolschewiken nicht aufgefordert, uns in Massengräbern verschwinden zu lassen. Wir –«
»Kein vernünftig denkender Mensch bezweifelt, dass euch bitteres Unrecht geschieht.«
»Besten Dank«, höhnt Kahn. »Im Augenblick scheinen mir die vernünftig denkenden Menschen unserer Zeit in einen Raum zu passen.«
»Gentlemen!« Carmichael hat sich wieder herangepirscht, legt jedem von ihnen eine Hand auf die Schulter. »Einigen wir uns doch einfach darauf, dass die Welt ein Paradies wäre, ginge es nach uns dreien.«
Schalom massiert seinen Nasenrücken.
»Um sie zu einem Paradies zu machen, müsstest du erst mal die Nüsse auffüllen«, sagt as-Azuri.
Und muss lachen.
Schließlich lachen sie beide, bis das nächste Grüppchen betrunkener, in Tel Aviv gestrandeter Araber vorbeizieht.
»Es liegt nicht mehr in unserer Hand, Schalom.«
»Etwa in deren?«
»Da entwickelt sich ein Aufstand.« As-Azuri beugt sich vor. »Und was ist ein Aufstand, Schalom? Ein Tier. Ein großes, mächtiges, entfesseltes Tier. Wie sich das Tier verhält, ob es die Zähne zeigt, brüllt, wütet oder einfach nur droht, vor allem aber, ob es sich wieder an die Kette legen lässt, hängt davon ab, was in seinem Kopf vor sich geht. Solange sein Denken von Fakten, von einer nachvollziehbaren Sachlage bestimmt wird, wird der Kopf den Körper kontrollieren und seine Kraft zielgerichtet zum Einsatz bringen. Gelangt der Kopf zu dem Schluss, die zionistische Einwanderung müsse reguliert werden, weil Palästina Arabern und Juden nicht unbegrenzt Platz bietet, kann er den Körper veranlassen, öffentlich dagegen zu demonstrieren. So wie vor vier Jahren in Jaffa, Nablus, Haifa, Jerusalem. Hilft das nicht, kann er einen Streik befehlen. So wie jetzt, da wir wohl in einen landesweiten Generalstreik treten werden, bis sich die Briten des Versprechens erinnern, das sie einst König Faisal gegeben haben –«
1919, Pariser Friedenskonferenz. Als die Araber zustimmten, Palästina den Zionisten zu überlassen, wenn die Kolonialmächte sie dafür in die Unabhängigkeit entließen. Ein jüdischer Staat neben einem arabischen Königreich. Zwei Träume –
Geplatzt.
»Was aber, Schalom, wenn das Tier seinen Kopf verliert? Kopflos stürmt es voran! Keine Vernunft, keine Verhandlungsbereitschaft, nur noch Hass bestimmt sein Handeln. Der grölende Haufen, der hier vorbeizog, das waren Bauern. Einfache Jungs vom Land. Warum sind sie hier, was machen sie in Tel Aviv?«
Schalom schweigt. Jeder weiß es. Sie ziehen aus den Dörfern in die Städte, weil ihre Familien nicht länger von der Landwirtschaft existieren können. Weil, wie die Sprecher der arabischen Nationalbewegung schlüssig darlegen, das Pachtland, das die Bauern über Generationen ernährte, den Besitzer gewechselt hat. Jetzt gehört es Juden. Und die Histadrut hat eine Menge Tricks auf Lager, arabische gegen jüdische Arbeiter auszutauschen. Auf Feldern und Plantagen ebenso wie auf den Baustellen, wo immer neue, immer größere zionistische Siedlungen entstehen. Sie bootet die Araber alleine dadurch aus, dass sie jüdischen Arbeitskräften bessere Löhne zahlt. Wovon also sollen sie auf dem Land noch leben? Entwurzelt ziehen sie in die Städte, auch dort keine Perspektive, die meisten von ihnen sind Analphabeten ohne
Weitere Kostenlose Bücher