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Höllenritt bereit und drehte sogar noch eine halbe Runde mehr auf dem Platz als alle anderen.
Was Benjamin daran besonders schmerzt?
Nicht, dass er gekniffen hätte.
Viel schlimmer.
Dass sie ihn gar nicht erst gefragt haben.
Doch er wird es ihnen zeigen, allen! Dass er kein Schwächling ist. Darum steht er jetzt hier mit Rachels Opel Blitz, ein Dutzend Singvögel als Zeugen, um es zuvor einmal im Stillen auszuprobieren.
Dann die GROSSE SHOW .
Seht mal her, der kleine Ben!
Mannomann! Teufelskerl. Den haben wir ja völlig unterschätzt.
Hoch lebe Ben!
Die Vorstellung gefällt ihm.
Was vor ihm liegt, weniger.
Sein Herz trommelt zum Rückzug.
Feigling, schilt er sich. Ein Stück abschüssige Straße, und du schlägst hier Wurzeln und machst dir in die Hose.
Er stellt sich auf die Zehen und erklimmt den Sattel. Ein Damenrad, na ja. Bei der Premiere wird er sich auf eins für Männer helfen lassen. Kleinheit ist keine Schande. Er hat den Sattel so weit runter wie möglich geschraubt, doch es reicht immer noch kaum. Das Leder schiebt sich hart zwischen seine Leisten, quetscht seine kleinen Eier, drückt und schmerzt. Er dehnt Muskeln und Bänder, kaum berühren seine Zehen den Boden, doch immerhin, er sitzt, sofern von Sitzen die Rede sein kann, wenn man auf ein Gestell gespannt ist wie auf eine Folterbank.
Schaut den Weg hinab.
Und plötzlich ist es ihm, als sähe er den Weg zum ersten Mal. Von Moos geädert, grüne Büschel, wo der Belag aufgeplatzt ist, Sand und Schotter, der hungrige Tunnel am Ende, und von einem Moment auf den anderen ist alle Angst verflogen.
Er zieht die Beine an, verlagert sein Gewicht nach vorne.
Quietschend setzt sich das Rad in Bewegung.
Rollt.
Nimmt Fahrt auf.
Es geht viel einfacher, als er gedacht hat.
Und plötzlich fliegt auch er.
Atemberaubend.
Abwärts! Abwärts!
Benjamin krallt sich an den Lenker. Kann es nicht fassen, wie er an Geschwindigkeit zulegt, das Rad über Bodenwellen und Moosflecken springt, ein Pferd, denkt er, ein wildes Pferd, so muss sich Reiten anfühlen, ach was, das ist bestimmt viel besser als Reiten, es ist großartig, fantastisch, mit nichts zu vergleichen, vor allem aber:
Er hat es gewagt.
Er hat es –
GETAN !
Freude erfasst ihn. Unbeschreiblicher Stolz. Zwischen Pinien und Zypressen steigt sein Jubel auf wie ein freigelassener Vogel, während er auf das Halbrund des Tunnels zugetragen wird, und immer noch beschleunigt das Rad, wird schneller und schneller und schneller –
Unglaublich!
Wie schnell kann er werden, bis –
bis –
– bis er die Kontrolle verliert?
Falscher Gedanke.
Was ihm eben noch großartig erschien, fühlt sich plötzlich angsteinflößend und verkehrt an. Die Tunneldecke schießt über ihn hinweg, das Opel Blitz schlägt aus, hüpft in die Höhe, vollführt einen schlingernden Satz, nein, Benjamin, laufen lassen, es fängt sich von selbst, doch seine Hände führen ein Eigenleben. Sie versuchen, gegenzulenken, und das ist das Dümmste, was er bei der Geschwindigkeit tun kann.
Der Lenker stellt sich quer.
Benjamin fliegt weiter, jetzt ohne Rad. Er rudert mit den Armen, zu verdattert, um zu schreien, aber immerhin reichen die zwei Sekunden freien Falls –
Um sich zu schämen.
Weil er eben doch ein Schwächling ist.
Eine Lachnummer.
Dann schlägt er auf, schürft über den Schotter, spürt, wie scharfkantige kleine Steine in sein Fleisch schneiden, hört etwas knacken, beißt sich auf die Lippen, keucht, rollt herum –
Liegt zitternd auf dem Rücken. Die zerklüftete Decke des Tunnels, dunkel und feucht, von Geheimnissen durchzogen, scheint auf ihn herabzublicken.
Ja, tatsächlich.
Sie schaut auf ihn herab.
Sie scheint sogar zu ihm zu sprechen.
Hier bist du richtig, sagt sie. Hier genau gehörst du hin, Wurm. Wärst du mal rechtzeitig unter einen Stein gekrochen, da könntest du nun hocken und zuschauen, wie Jehuda ein Mann wird und man Arik auf die Schulter klopft, auch wenn den eigentlich keiner mag. Aber du? Nicht mal wert, dass man dich nicht mag. Du existierst gar nicht, siehst du, und darum liegst du jetzt hier unten.
Wisse also, Benjamin, dies ist der Platz für alle Gescheiterten, ein tropfendes Loch, der Abgrund aller Verachtung.
Die Endstation.
Bleib einfach liegen. Niemand wird dich vermissen.
Und weil Benjamin findet, der Tunnel habe ganz recht, rührt er sich nicht, und um ihn herum wird es still.
Nein, nicht ganz.
Ein Wimmern geistert durch das Gewölbe, ein
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