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entgegenbringt. Sechseinhalb Millionen Jahre menschlicher Beobachtungsgabe legen nahe, dass der Apfel nachunten fällt, aber wenn Gott es will, sagen sie, fällt er nach oben. Das Märchenwesen, an das sie hartnäckig glauben. Du merkst an, dass es 1000 gute Gründe gibt, zumindest skeptisch zu sein. Sie bleiben unbeirrbar. Lächeln und wissen es besser. Du willst ernsthaft mit ihnen diskutieren, und sie kommen dir mit dem Scheiß, dass Gott dich trotzdem liebt.
Als renne man mit Anlauf in eine Matratze.
Danach lassen sie das Thema fallen, während sie ihr Weg nach Kfar Manin führt. Jehuda erträgt es kaum, wie Benjamin sich abmüht mit seinem verkrüppelten Fuß, aber er will es ja so. Er will gehen, also gehen sie. Dorthin, wo vor zehn Jahren arabische Banditen das halbe Anwesen der Familie Manin niedergebrannt haben. Längst sind die verkohlten Bäume gefällt, die Ruinen abgerissen worden. Nur Gräber hinterm Haupthaus zeugen noch vom Wahnsinn jener Nacht.
Ein Wahnsinn, der nicht enden will.
Was regst du dich da über die Messianisten auf?, fragt sich Jehuda. Die arabische Aggression sollte uns Sorgen bereiten, das geballte Bestreben der Nachbarstaaten, Israel zu zerschlagen und unter sich aufzuteilen. Auch über die politisch motivierten Großisraelträume eines Menachem Begin muss man sich Gedanken machen, sie alle sind weit gefährlicher als eine Handvoll religiöser Spinner.
Die Ultraorthodoxen lehnen Israel ab?
Sollen sie doch.
Die Nationalreligiösen hängen Utopien nach?
Viel Spaß damit.
Was können sie schon ausrichten?
Israel ist ein säkularer Staat.
Jaffa
Warum wird er dann das Gefühl nicht los, sich gründlich zu irren?
Tags drauf begleitet es ihn. Abends, als er nach Jaffa fährt, um sich dort mit Yousef zu einem Rundgang durch das eben erst eroberte Städtchen zu treffen, ist es immer noch da, und ein Satz aus Schaloms Hinterlassenschaft an Einsichten geistert ihm durchs Hirn:
Glaube ist, es nicht besser zu wissen.
Fast richtig, denkt er jetzt.
Glaube ist, es nicht besser wissen zu wollen. Die vorsätzliche Leugnung des gesunden Menschenverstandes macht die Religiösen möglicherweise doch gefährlich.
Irgendwann.
Nun, Jaffa ist ein pittoresker Ort und überfrachtet mit Geschichte: Bewohnt von Kanaanitern, später phönizischer Seehafen, dann römisch, schließlich Kreuzfahrerhochburg und mittelalterliches Handelszentrum, bevor die Stadt unter den Osmanen zum Pilgertreff wurde, und alles scheint noch lebendig. In krassem Gegensatz zur historischen Beschaulichkeit stehen die Militärlaster und Busse voller Rekruten, ein Bild, das Jehudas Vertrauen in die Schlagkraft der neuen israelischen Streitkräfte nicht eben stärkt. Nur per Dekret eine Armee, mangelt es dem zusammengewürfelten Haufen ehemaliger Milizionäre hinten und vorne an Ausrüstung, außerdem sind sie zu wenige. Der junge Staat hat es nicht länger nur mit arabischen Banden zu tun, er sieht sich der vereinten Übermacht der Jordanier, Ägypter, Libanesen, Syrer und Iraker gegenüber.
»Was wollen sie denn mit denen?«, fragt Yousef skeptisch.
Blasse Jünglinge in fadenscheiniger Kleidung verteilen sich um die Busse, die alle denselben ratlosen Gesichtsausdruck zur Schau tragen. Uniformierte dirigieren lautstark Hilfsarbeiter zu den Lastern, Kisten und Pakete werden aufgeladen.
Einmal mehr fragt sich Jehuda, was in Yousefs Kopf vor sich geht?
Wirklich vor sich geht?
Yousef hat es vorgezogen, Bürger des neuen Staats zu werden, statt wie die meisten Araber in die Westbank oder einen der Nachbarstaaten zu fliehen. Und die Fluchtwelle ist beispiellos. Jaffa, bislang zu gleichen Teilen jüdisch, christlich und muslimisch, wirkt wie ausgestorben, gerade mal der siebte Teil der arabischen Einwohnerschaft ist geblieben. Fragst du Yousef, wie er sich als Teil der verbliebenen Minderheit fühlt, schaut er dich allerdings mit großen Augen an und sagt:
»Minderheit?«
Weil er doch jetzt Israeli ist.
Nur halt muslimischer Israeli. Aber er steht aufseiten des israelischen Staats, und das löst mancherorts Unbehagen aus.
Kann ein Araber loyal zu Israel stehen?
»Klar«, sagt Yousef. »Ich muss ja nicht mit allem einverstanden sein, was der Staat unternimmt, aber das müsst ihr Juden auch nicht.«
»He! Aus dem Weg.«
Finger schließen sich um Jehudas Oberarm und zwingen ihn zur Seite.
»Mal langsam«, mault er.
Und verstummt.
Das Mädchen ist klein, fast zierlich, strahlt aber ungezähmte Energie aus. Wie
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