Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
für das geistige Wohlergehen der Gruppe, oder Stifter, verantwortlich für unsere spirituellen Bedürfnisse.« Mein Blick schweift durch den Raum. Sonderlich spirituell erleuchtet ist mir hier drinnen noch keiner vorgekommen und Vanya scheint überdies entfallen zu sein, dass die Menschen und die Überbevölkerung den Switch überhaupt erst verursacht haben. Bäume fällen, um Menschen zu ernähren – ein genialer Plan, wie man gesehen hat.
»Unsere Errungenschaften haben meine Erwartungen weit übertroffen«, fährt Vanya fort. »Wir haben unterwegs Fehler gemacht und Opfer erbracht, sind dadurch jedoch nur stärker geworden, und wo andere Gruppen gescheitert sind, haben wir uns durchgesetzt.« Vanya blickt zu unserer Truppe und ich bin schwer versucht, ihr den Stinkefinger zu zeigen. Es ist ja kaum unsere Schuld, dass es den Hain nicht mehr gibt. »Einige unserer heutigen Kandidaten sind Flüchtlinge. Sequoia ist das letzte Bollwerk gegen das Ministerium und wir verteidigennicht nur unser Recht zu atmen, sondern auch unser Recht, ein neues Volk zu züchten, das den Elementen trotzt.« Das Publikum jubelt. Ich schaue rüber zu Silas, aber sein Blick ist auf den Boden gerichtet, die Wangen feuerrot, die Hände zu Fäusten geballt. Wie ich ihn kenne, kann er jeden Moment in die Luft gehen, aber mit Gewalt werden wir hier gar nichts erreichen. Dazu sind sie einfach zu viele. Wenn wir gehen, müssen wir das heimlich tun, Punkt.
Vanya ruft die erste Kandidatengruppe auf. »Song Jackson, Dorian Chasm, Juno McIntire, Martha Spencer, Quinn Caffrey und Clarice Bird, bitte tretet auf die Bühne«, sagt Vanya. Dorian steht als Einziger auf. »Ihr alle«, beharrt Vanya.
»Wird schon schiefgehen«, sagt Quinn und erklimmt mit den anderen die Bühne. Die meisten wirken starr vor Angst oder zumindest nervös, nicht jedoch Dorian. Wann hat er beschlossen, das hier tatsächlich zu wollen?
»Ich präsentiere euch hiermit… unsere Akademiker«, verkündet Vanya. Wieder erschallen Jubelrufe, wahrscheinlich von den übrigen Akademikern. »Bitte bedeckt eure Köpfe«, weist Vanya an. Die Kapuzen reichen allen bis über die Nase. »Alle Verpaarungen wurden auf wissenschaftlicher Grundlage festgelegt, um sicherzustellen, dass jeder in Sequoia den für ihn idealen Partner erhält.« Vanya zückt eine Liste. »Streckt bitte die Hände aus.« Vanya ergreift die Hände von Song und einer zweiten Person und führt sie nach vorne auf die Bühne. »Ich präsentiere Song Jackson und Martha Spencer.« Die beiden müssen niederknien, während Vanya ihnen jeweils eineHand auf den Kopf legt und die Augen schließt. »Zukünftige Generationen werden diese Tage in Ehren halten. Möge eure Verbindung die Menschheit voranbringen. Und möget ihr stets nach dem höheren Wohl streben.«
»Nach dem höheren Wohl«, wiederholt das Publikum im Chor. Vanya verbeugt sich wie nach einem gelungenen Zaubertrick und schiebt den beiden die Kapuzen zurück. Song und Martha blicken einander zum ersten Mal in die Augen. Zittert Song etwa? Vanya zwingt sie zum Händchenhalten und Song stolpert beim Aufstehen fast über die eigenen Füße. Martha hilft ihm auf. Angesichts der Geschichte mit Holly habe ich über seine Gelassenheit gegenüber all den Aktionen hier ohnehin nur staunen können.
Vanya erwählt ein weiteres Paar: Quinn und das Mädchen namens Clarice. Quinn ist der einzige Sauerstoffmaskenträger auf der Bühne und ich spüre, wie ihn alle anstarren. Er und Clarice knien vor Vanya nieder, die ihr Sprüchlein aufsagt und die beiden verbindet.
Dann ist Dorian an der Reihe, der seine Partnerin Juno nach beendeter Zeremonie auf die Seite führt und dort sofort ihre Hand loslässt. Jetzt, wo sich sein Gegenstück als unscheinbares Mondgesicht mit leichtem Akneproblem entpuppt hat, wirkt er nicht mehr so scharf aufs Angepasstsein. Er lehnt sich so weit von Juno weg, wie er nur kann.
Maks führt sie zu einer Stuhlreihe hinten auf der Bühne. So ernst die Sache mit Sequoia und diesen Verpaarungen auch ist, der enttäuschte Dorian und seine geplatzten Illusionen entlocken mir ein Lächeln.
Vanya kündigt eine weitere Runde Akademiker an. Sie ruft Namen auf, die mir nichts sagen, und noch mehr Kandidaten in Festgewändern erklimmen die Bühne. Ich blende ihre Stimme aus und schaue durch die Glasdecke empor in den schwarzen Himmel mit den funkelnden Sternen. Genau wie in der Nacht, als ich im Hain in den Bäumen schlief, bevor die ganze Welt über uns
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