Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
Babybetten und Laufställe. In einem Schaukelstuhl schläft eine Schwester mit einem Baby auf dem Arm. Die Kinder weinen, keuchen oder liegen apathisch da. An Schläuchen hängt keines von ihnen, doch die meisten sind mit Pflastern und blauen Flecken übersät. Mit einem Kreischen setzt sich ein Kleinkind in seinem Bett auf, die Augen voller Tränen. Die Schwester öffnet nur ein Auge. »Pssst«, macht sie.
»Die leiten hier fünfzehn Prozent Sauerstoffgehaltein«, flüstert Abel, »und gehen dann immer weiter runter, bis ein Kind Anzeichen von Erstickung zeigt. Das hängen sie dann an eine Oxybox. Training.«
Ich starre wieder in den Raum. Die Babys sind alle an ihren Bettchen festgeschnallt. »Wo sind die Mütter?«, frage ich. Ist der Säugling von dem Mädchen auf dem Speicher auch dabei?
»Vanya glaubt, all diese Kinder gehören ihr. Die Mütter bleiben im Haupthaus. Die älteren Kinder sind ein Stockwerk höher. Wenn sie überleben, kommen sie mit zwölf Jahren auch rüber ins Haupthaus. Vanya macht das erst seit acht Jahren. Sie glaubt, sie züchtet eine überlegene menschliche Rasse.«
»Sie ist wahnsinnig.«
Ein Schatten verstellt uns das Licht von drinnen. »Wir sollten die Rollos runterlassen«, sagt eine schartige Stimme. Das Licht wird dumpf. Ich dränge mich gegen die Wand.
»Du hast Jo hierhergebracht und uns zum Bleiben überredet, obwohl du davon gewusst hast«, zische ich.
»Irgendwo musste Jo das Baby ja bekommen. Und das ganze Ausmaß war mir auch nicht klar, bis Jo es mir vor ein paar Tagen erzählt hat.«
»Sie hat’s gewusst?«
»Maks hat es ihr bei ihrer Rückkehr mit großen Genuss unterbreitet«, sagt er unbehaglich.
»Und jetzt?«, frage ich. Die Fenster sind zu schmal, um in das Gebäude zu gelangen, und wir können schlecht einfach durch die Tür spaziert kommen.
»Maks hat die Schlüssel«, sagt er. »Wenn wir die kriegen könnten…« Er spricht es nicht aus.
»Soll das ein Witz sein?« Maks ist nicht der Typ, der Schlüssel rumliegen lässt.
»Das ist die einzige Möglichkeit, Alina«, sagt er. Er klingt entschlossen, aber er hat ja auch gut reden, denn sein Leben steht hier nicht auf dem Spiel.
»Also, wenn wir das tun, lassen wir keinen der Stifter hier zurück. Und die Kinder erst recht nicht.«
Abel glotzt mich an. »Was? Nein. Die können wir unmöglich alle mitschleifen. Da werden wir garantiert geschnappt.«
Ich halte inne, weil ein Baby zu weinen beginnt. Das Geschrei wird lauter und lauter, bis es schließlich abebbt und die Nacht wieder ruhig wird. »Glaubst du, wir helfen dir, Jo zu retten und sonst niemanden?« Abel schüttelt schuldbewusst den Kopf.
»Warst du die ganze Zeit in sie verliebt?«, frage ich.
Er seufzt. »So ist das ja gar nicht. Jo ist meine beste Freundin. Ich kenn sie schon mein ganzes Leben. Du und ich, wir hatten nie Zeit, uns richtig kennenzulernen. Wenn wir das täten…«
Ich will Abel sagen, er soll sich zum Teufel scheren. Wenn er glaubt, mich mit so einem Versprechen ködern zu können, dann kennt er mich wirklich nicht. »Lass uns zurückgehen, ehe noch jemand merkt, dass wir fehlen«, sage ich. »Morgen sag ich dann allen, was zu tun ist.«
Wir eilen durch die Tür und ins Haupthaus zurück, Abel klammert sich an meinem Arm fest. Seine Berührung lässt mein Herz schneller schlagen und ich könntemich dafür selbst ohrfeigen. »Warum tust du die ganze Zeit so abgebrüht? Du machst es einem auch nicht leicht, dich zu lieben.«
Fast muss ich lachen, doch dann packt mich die Wut und ich schubse ihn so hart, dass er rückwärtstaumelt. Er hat null Vorstellung davon, was ich seinetwegen durchgemacht habe, weil er gelogen hat, weil er sich hat erwischen lassen. »So langsam hab ich keine Kraft mehr«, fauche ich. »Ich werd mich jetzt noch auf diese eine Sache konzentrieren und dann ziehe ich mich aus dem Weltrettungsgeschäft zurück. Und danach können wir uns vielleicht drüber unterhalten, wie unliebenswert ich doch bin. Kapiert?«
BEA
Oscars Dachgeschossatelier ist unter Gemälden und Zeichnungen begraben, auf dem Boden und an den Wänden ist ein Regenbogen an Farben verspritzt. Auf der Staffelei ruht eine große Platte, auf die dicke und unregelmäßige Linien in Rot und Grau geschmiert sind.
»Was bedeutet das?«, frage ich und trete zur Staffelei.
»Wenn ich das wüsste, könnte ich mir den Therapeuten sparen«, grinst er.
»Es gefällt mir«, sage ich. Vielleicht könnte ich auch malen. Irgendwann in der Zukunft.
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