Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
Zeit, bis Niamh den Braten riecht.
Er seufzt. »Die normale Grundausbildung dauert sechs Monate. Ich hab schon alles in vier Wochen gequetscht.«
»Das ist immer noch zu lang.«
»Wozu die Eile?«
Ich habe Jude nichts von den Rebellen in meinem Atelier erzählt. Er würde nur durchdrehen, weil ich so ein Risiko eingehe, und ich muss vermeiden, dass er kalte Füße kriegt und uns hängen lässt. Aber so langsam muss er begreifen, wie eilig die Sache ist. Er muss seinen Teil der Last tragen.
»Kannst du mal ’ne halbe Stunde Pause machen? Ich will dir was zeigen.«
Er schaut auf die Wanduhr. »Die nächste Einheit beginnt um acht. Und dann wieder um zehn. Die geht dann bis Mitternacht.«
»Nur eine Viertelstunde«, sage ich. Jude zieht sein Pad zurate.
»Zehn Minuten«, sagt er. »Noch eine Runde so, dannwechseln«, trägt er seinen Soldaten auf. Es folgt weder ein Stöhnen noch sonst eine Unmutsbekundung – im Gegenteil: Sie lächeln, glücklich darüber, an ihre Grenzen gebracht zu werden.
Ich klopfe ein paarmal an die Ateliertür und mache mir dann auf. Bea steht ruhig da, die Arme um sich geschlungen. Jude schaut erst sie an, dann die über den Boden verteilten Leute, den Tisch voller Eiweißriegel und Wasserkaraffen und den Berg von Sauerstoffflaschen in der Ecke. »Was wird das hier?« Seine Kiefermuskeln verkrampfen sich. »Du hast doch nicht… ich dachte, die hausen in den Gassen.«
»Wir haben keinen Platz mehr«, erkläre ich ihm. Gestern erst hat mir Old Watson fünf neue Flüchtlinge angeschleppt. Das Atelier platzt aus allen Nähten und ein Ende ist nicht abzusehen.
»Quasi unter Niamhs Nase? Du bettelst ja geradezu darum, dass sie dich verhaften, und dann sind wir alle dran.« Ein paar Leute meditieren auf ihren Schlafsäcken.
»Harriet bereitet uns vor, so gut sie kann«, sagt Bea. »Wir machen Rumpfbeugen, Liegestütze und Yoga und wir meditieren. Ich fühl mich schon jetzt nach den paar Tagen viel fitter. Wenn wir hier drinnen nur die Luft etwas dünner machen könnten.«
Jude presst die Lippen zusammen, als müsse er sich eine fiese Bemerkung verkneifen. »Der Wagen wartet. Ich muss zurück.« Schon stürmt er die Stufen hinunter.
»Hast du ihn gefragt?«, will Bea wissen. Ich schüttle den Kopf und sie scheucht mich aus dem Zimmer, ihm hinterher.
Als ich unten angelangt bin, ist Jude schon außer Sichtweite. Ich erwische ihn gerade noch, bevor er in den Geländewagen steigt. »Das Maß ist jetzt voll. Die werden uns aufknüpfen, garantiert. Ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen«, sagt er und lässt sich auf den Rücksitz fallen.
Ich stecke den Kopf durchs Fenster. »Du musst sie schneller ausbilden.«
»Ich tu, was ich kann.« Er reibt sich die Schläfen.
»Kannst du bei dir auch ein paar verstecken?«, flüstere ich, ein Auge auf dem Fahrer.
Jude lacht und haut sich mit der Hand auf den Oberschenkel. »Das ist nicht dein Ernst.« Er stockt. »Das ist es. Dein Ernst.« Er schüttelt sich vor Lachen, bis es in Husten übergeht. Als er sich wieder im Griff hat, versteinert sich seine Miene. »Das Mädchen liebt dich nicht. Falls das der Grund sein sollte. Wenn du glaubst, auf diese Weise kriegst du sie rum, dann wirst du auf die Schnauze fallen. Ich kenne sie seit ihrer Kindheit und für sie gab es immer nur Quinn. Und umgekehrt genauso. Nicht, dass es mir gefallen würde, aber so ist es nun mal.« Er starrt mich an, fordert mich heraus. Und die Frage ist berechtigt. Geht es hier nur um Bea und irgendwelche schwelenden Gefühle, die ich für sie hege? Es stimmt, dass sie in mir den Wunsch weckt, ein besserer Mensch zu werden und für eine bessere Welt zu kämpfen. Ich denke an ihr ernstes, rundes, von schwarzem Haar umrahmtes Gesicht. Sie ist hübsch und schlau und mutig und warmherzig, aber Jude hat recht – ich bin nicht derjenige, den sie will. Vielleicht habe ich mirdeshalb nie gestattet, mich zu ihr hingezogen zu fühlen. Ich wusste, wie hoffnungslos es sein würde, und hoffnungslos lieben will ich nicht.
»Gegen das Ministerium hätte man schon längst vorgehen müssen. Bea hat mir die Augen geöffnet.«
Jude reibt sich die Augen. »Ich hab eine Doppelgarage. Aber mit dem Geländewagen drin bleibt nicht viel Platz«, sagt er.
»Kann ich dir zehn Leute abtreten?«
»Acht kannst du mir geben. Aber wir müssen es nachts machen. Ich will nicht, dass Cynthia was mitkriegt. Der Geburtstermin steht kurz bevor.«
»Morgen«, sage ich.
Jude beugt sich vor und trommelt
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