Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
an die Scheibe zwischen Rücksitz und Fahrer. »Schaff mich hier raus«, sagt er.
ALINA
Da Abel die Gegend hier am besten kennt, hat er die letzten drei Tage die Vorhut angeführt, um die sichersten Wege über Abhänge und Flüsse zu finden. Wir Übrigen haben uns in Kleingruppen aufgeteilt und zählen regelmäßig durch, um niemanden am Wegesrand zurückzulassen.
Nach der Flucht aus Sequoia sind wir über Wege und Felder geirrt, Stunde um Stunde, wie es uns vorkam, doch Tempo drosseln war nicht drin. Nicht, als die Stifter geschwächelt haben, nicht, als die schlechteren Sauerstoffverwerter unter uns den Regler höher drehen mussten. Erst als die Kinder zu weinen anfingen, haben wir eine Fütterpause eingelegt.
Nun kauern wir uns zwischen einigen moosbedeckten Felsbrocken am Rande eines überfrorenen Sees. Meist reden wir kaum ein Wort; beim kleinsten verdächtigen Geräusch sind wir ruck, zuck aufbruchbereit. Es ist Nacht, man sieht kaum die Hand vor Augen. Sobald die Sonne aufgeht, ziehen wir weiter.
»Was war das?«, flüstere ich. Ich finde keine Ruhe, daskleinste Knacken lässt mich auffahren. Als das Ministerium hinter mir her war, hatte ich Angst, aber damals hatte der Feind kein Gesicht. Jetzt kann ich mir nichts Schlimmeres vorstellen, als von Maks aufgespürt zu werden.
Maude hört auf, das Milchpulver ins Wasser zu rühren. Sie schnalzt mit der Zunge. »Ich hör nix. Nur die Mägen von den armen Kleinen. Und meinen. Is noch was für die Großen übrig?« Sie nimmt den milchigen Löffel aus der Schale, leckt ihn ab und verzieht das Gesicht. Lily, das Kind, das ich getragen habe, will sich nicht weiter von mir wiegen lassen und beginnt, zu zappeln und das Händchen nach Maude auszustrecken. Maude setzt Lily auf ihr Knie und schiebt ihr energisch einen Löffel in den Mund. »Psst, Schnucki«, macht sie beruhigend.
Mein eigener Magen hängt mir schon in den Kniekehlen, dabei hab ich nur noch einen Eiweißriegel übrig. Ich breche ein kleines Stück ab und reiche es Maude, die kurzen Prozess damit macht. Den Rest reiche ich Jo. Sie betrachtet den Riegel mit gesenktem Blick und bricht in Tränen aus. Gründe zum Weinen hat sie mehr als genug und so ignoriere ich es diskret und gehe rüber zu Silas, der über einer Karte brütet. Er hat sich selbst zum Routenplaner ernannt und keiner von uns redet ihm da rein, noch nicht mal Dorian, dessen Selbstbeherrschung inzwischen an einem seidenen Faden hängt. »Wir haben fast nichts mehr zu essen«, teile ich ihm mit. Üppig war es von Anfang an nicht, aber so langsam wird’s wirklich brenzlig.
Silas deutet auf einen Punkt auf der Karte. »Noch einen Tag höchstens«, sagt er. »Ich bin zu neunundneunzig Prozent sicher, dass wir dort Solar-Atemgeräte finden. Da können wir die anderen absetzen und uns auf zur Kuppel machen.«
»Super, Silas, aber das hast du schon gestern gesagt.« Er vertieft sich wieder in die Karte. »Silas?«, stupse ich ihn an und er blickt auf. Seine Augen sind tief eingesunken und er wirkt irgendwie weggetreten, als würde er mich gar nicht wirklich wahrnehmen. Er ist älter als ich und viel härter im Nehmen, ich habe immer nur zu ihm aufgeschaut, doch manchmal vergesse ich, dass Silas letztlich genauso verwundbar ist wie jeder andere auch.
»Hast du seit Sequoia auch nur ein Auge zugemacht?«, frage ich.
Er dreht sich zu Song, der mit einem schlafenden Kind auf dem Schoß an einen Felsen gelehnt sitzt. Ein ungefähr achtjähriges Mädchen, das Maude die Vorräte schleppen hilft, schläft mit dem Kopf an seiner Schulter. »Glaubst du, man könnte irgendwie die Luft aus den Solargeräten in die Sauerstoffflaschen umfüllen?«
»Nicht völlig unmöglich«, murmelt Song erschöpft. Auf der Flucht sein ist schon hart genug, aber dabei auch noch Kinder zu schleppen gibt einem den Rest. Song checkt das Ventil am Atemgerät der Kleinen und legt ihr die Hand auf die Brust, um die Atmung zu überprüfen.
Bruce hat das Milchanrühren übernommen, während Maude die Babys füttert. Ich gehe zu ihm. »Bruce… wiehast du dich als Ausgestoßener so durchgeschlagen? Wovon hast du dich ernährt?«
Er lässt den Löffel gegen die Schale klappern. »Tja, für Beeren ist’s jetzt zu kalt, aber wenn wir’s zurück in die Stadt schaffen, können wir uns ein paar Häuser suchen, die nicht geplündert worden sind. Da gibt’s oft massenhaft Vorräte«, brummt er. Er zieht mich näher zu sich ran. »Aber hör mal… Maude und ich ham’s schon
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