Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
einfach nicht wahrhaben.« Sie verlässt die Zelle und lässt die Tür hinter sich zuknallen.
Vine kauert sich neben mich und streichelt mir mit dem Handrücken übers Gesicht. Ich versuche, ihn zubeißen. Lachend zieht er die Hand weg. Ich bin nichts als ein Beutetier und das Gefühl kenne ich nur allzu gut. Ich schreie aus voller Kehle los, um ihn wenigstens aus dem Konzept zu bringen, und verstumme erst, als der Lautsprecher in der Wand Alarm schlägt und eine rote Warnleuchte aufblinkt. »Das darf doch nicht wahr sein«, sagt er.
»Was darf nicht sein?«
Er blickt auf mich runter. »Das ist der Luftalarm, das weißt du genauso gut wie ich. Die Rebellen müssen die Rohrleitungen beschädigt haben. Und du wirst dafür bezahlen, dass du da drin hängst.«
»Die Rohrleitungen?«
»Die hätten bedenken sollen, dass im Gefängnis und in den Zweitklasswohnungen zuallererst die Luft abgesaugt wird.« Er hastet zur Tür.
»Und mich lassen Sie einfach hier?«, frage ich. Vor dem Tod fürchte ich mich nicht – ich habe ihm schon zu oft ins Auge gesehen, um die Unvermeidlichkeit zu verdrängen, und Ersticken ist das Unvermeidlichste überhaupt –, aber alleine sterben, das will ich nicht. Irgendwer sollte meinen letzten Moment miterleben. Wenigstens das habe ich doch verdient, oder?
Vine schnaubt und drückt den Knopf der Gegensprechanlage. Er wartet ein paar Augenblicke ab und zerrt dann am Türgriff. Vergeblich. Er räuspert sich und versucht noch mal sein Glück mit der Gegensprechanlage. »Ich bin jetzt bereit zum Gehen«, spricht er in den kleinen Kasten, die Stirn in Falten.
Ich huste, weil die Luft in der Zelle schon merklichdünner geworden ist. »Was, wenn niemand kommt?«, stachle ich ihn auf. »Werden bei einem Angriff nicht alle zum Kämpfen zusammengetrommelt? Würden die Wachen nicht panisch abhauen, wenn sie wissen, dass die Luft abgesaugt wird?«
Er drückt sich die Hand auf die Brust und trommelt dann mit beiden Fäusten gegen die Zelltür. »Lasst mich raus!«, brüllt er. Ich konzentriere mich ganz darauf, meine Atemzüge möglichst lang auszudehnen, wie Meeresbrandung, die ans Ufer rollt. Vine kommt zu mir und kniet sich neben mich auf den Boden. Er hält sein Ohr an meinen Mund. »Was ist das für ein Trick?«, fragt er. Sein Atem geht hektisch.
»Kein Trick«, sage ich. »Ich hab genug Luft, ganz einfach.«
»Schafft mich hier raus!« Er wird kreidebleich, wankt wieder zur Tür, reckt den Hals und reißt den Mund weit auf, um so viel Luft wie möglich einzusaugen. »Das brennt«, krächzt er und beginnt zu röcheln.
Ein letztes Mal drückt er seinen Finger gegen den Knopf der Sprechanlage, bevor er keuchend zu Boden sinkt. Er beginnt zu hyperventilieren und kippt dann ohne Vorwarnung bewusstlos um. Ich sehe noch, wie seine Brust sich hebt und senkt. Ein Weilchen wird er noch leben. Aber nur ein Weilchen.
Und ich bleibe so ruhig wie möglich auf dem Boden liegen und haushalte mit meinem Sauerstoff. Die Luft ist sehr dünn, doch zum Überleben reicht sie. Mir zumindest.
Eine Weile.
ALINA
Die drei Wiederaufbereitungsanlagen, deren Leitungen noch intakt sind, werden nun von ganzen Regimentern abgeschirmt, die Türme sind von Scharfschützen besetzt. »Wir können auch schießen«, erkläre ich Jude Caffrey. Er nickt knapp, als wisse er das ohnehin am besten, und weist auf die Anlage Nord. »Geht mit Oscar«, sagt er.
Wir rasen auf die Anlage zu und überwinden den notdürftigen Schutzwall aus Sandsäcken. Ein Soldat an der Tür erkennt Oscar und lässt uns passieren und schon sind wir mit dem Windenaufzug auf dem Weg nach oben. Das Blut rauscht mir in den Ohren, ich kann nur an meine Tante denken, meinen Onkel, an Bea und Jazz, die ersticken werden, wenn wir nicht Sequoias Miliz an der Zerstörung der Rohrleitungen hindern. Genau das war immer die größte Angst des Ministeriums, die erklärte Schwachstelle bei Terrorangriffen, und im Hain haben wir über ihre Panikmache gelacht.
Ganz oben angekommen rasen wir aus dem Aufzug hinaus auf einen Balkon, wo wir uns bäuchlings hinwerfen und durch die Zielfernrohre unserer Gewehredas Gelände inspizieren. Von Westen her befindet sich Vanyas Miliz im direkten Anmarsch auf die Anlage. Gelegentlich geht einer von ihnen zu Boden, doch über Tote und Verletzte wird einfach ungebremst hinweggetrampelt. Die Soldaten des Ministeriums gehen hinter den Sandsäcken in Deckung und feuern eine Runde Munition nach der anderen ab, was die Sequoianer nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher