Breed: Roman (German Edition)
Jacke, wobei sie darauf achtet, die Kinder nicht zu berühren.
Außerhalb von Ljubljana kommen sie an Bauernhäusern und grauen, frostigen Feldern vorüber, auf denen findige Kühe es schaffen, zwischen den Stoppeln etwas zu fressen aufzuspüren. Das Schaukeln des Wagens auf den kurvenreichen Straßen hat Alice in den Schlaf gewiegt. Ihr Kopf ruht an der Schulter ihrer Mutter; ihre Lippen sind gespitzt, als wollte sie die Kerzen auf einem Geburtstagskuchen ausblasen.
»Geht’s dir gut?«, fragt Leslie Adam und wagt es, ihm das Knie zu tätscheln.
»Klar«, sagt er. »Und dir?«
Sie blinzelt, um die Tränen zurückzuhalten – es ist fast unerträglich, wie lieb ihr Sohn ist.
Sie nimmt seine Hand, und er verschränkt die Finger mit ihren.
Die Kinder lieben sie. Das ist die Schönheit und die Blindheit der natürlichen Ordnung …
Idrija sieht aus, als wäre es aufs Geratewohl erbaut worden – eine hastig in die Höhe gezogene Tankstelle, ein kleines Kaufhaus, eine Eisdiele, einige Lokale … Niemand ist auf der Straße. Man könnte meinen, die Stadt sei völlig verlassen, würde aus den Schornsteinen der Häuser am Straßenrand nicht kalkweißer Rauch quellen.
»Hui!«, sagt Slavoj, als er abrupt von der Hauptstraße abbiegt. Sie befinden sich nun auf einem Weg, der nicht viel breiter als der Wagen ist. Hier stehen saubere Häuschen, an deren Wänden links und rechts säuberlich Feuerholz aufgestapelt ist. Slavoj wirft einen Blick auf sein Telefon und verkündet: »Wir sind in Nähe!«
»Ob es wohl klappen wird, Mom?«, fragt Adam.
»Weiß auch nicht«, sagt Leslie. »Ich denke, schon. Oder ich hoffe es.« Sie runzelt die Stirn – der Unterschied zwischen etwas denken und etwas hoffen ist ihr nicht recht klar.
»Bekommen wir irgendwelche Spritzen?«, fragt Alice, die aufgewacht ist.
»Als ich das erste Mal bei ihm war, hab ich eine bekommen«, sagt Leslie.
»Hat es wehgetan?«, fragt Alice.
»Ja. Das hat es.«
»Dieser Doktor«, sagt Slavoj und blickt über die Schulter, während er weiterspricht, ist aber trotzdem irgendwie in der Lage, der engen Straße zu folgen. »Leute kommen her, um Kind zu kriegen, und Sie haben zwei. Vielleicht verstehe ich nicht richtig, aber meine Schwester sagt, an einem Tag kommt er bestimmt in Gefängnis. Hat man ihm schon verboten, Reise zu machen. In meinem Land das ist erster Schritt, danach …« Slavoj macht ein schnalzendes Geräusch, als wollte er einen alten Gaul antreiben, meint damit aber offenbar, dass dann das Schicksal des Doktors besiegelt ist.
Auf der rechten Seite steht hinter einem hohen Eisengitter ein imposantes Landhaus. Seine mit Stuck verzierten Mauern sind von Ranken eingehüllt, die nun, da sie ihr Laub abgeworfen haben, wie ein Netz aus freiliegenden Nerven aussehen. Schneeregen beginnt zu fallen. Vor dem Haus dreht sich ächzend eine Wetterfahne in Form eines Drachen. Ein alter, noch aus der Sowjetzeit stammender Lada, an den man unpassenderweise riesige Traktorenreifen montiert hat, steht neben einem Mountainbike.
Slavoj hält an, springt aus dem Wagen und versucht, das Tor zu öffnen, doch das ist zugekettet, und die Kette ist mit einem schweren Schloss gesichert. Nichtsdestotrotz rüttelt er ein paarmal kräftig am Tor, bevor er wieder zum Wagen geht und auf die Hupe drückt.
Leslie reibt sich die Stirn.
Denk nach, denk nach
, sagt sie sich. Immerhin kann sie sich diese Frage stellen:
Wenn er nicht hier ist, was dann?
Aber zu mehr ist sie nicht in der Lage.
Slavoj ist offenbar überzeugt, er müsse nur lange genug hupen, bis jemand aus dem Haus kommt. Tatsächlich bestätigt sich diese Theorie. Die Tür des Hauses geht auf, und ein Mann in einem silbern glänzenden Chemikalienschutzanzug mit Maske und Kapuze und kniehohen schwarzen Gummistiefeln kommt heraus und geht rasch ein Stück weit auf das Tor zu. Dabei schwenkt er die Arme über dem Kopf, als wollte er einen Autofahrer davor warnen, dass die nächste Brücke weggespült wurde. Ungerührt drückt Slavoj weiter auf die Hupe und zwingt den Mann dazu, über die mit Kies bestreute Einfahrt bis ans Tor zu kommen.
Leslie und die Zwillinge sitzen schweigend hinten im Wagen, während Slavoj und der Mann im Schutzanzug miteinander sprechen. Bald werden die Stimmen der beiden lauter und heftiger, und es ist klar, dass sie streiten, auch wenn die Stimme des Mannes im Schutzanzug gedämpft klingt. Klar ist außerdem, dass Slavoj der lautere der beiden ist und offenbar entschlossener, aus dem
Weitere Kostenlose Bücher