Breed: Roman (German Edition)
der nackten Matratze ein groteskes Aussehen. Auf dem Boden liegt eine Nachttischlampe, deren langer Hals entzweigebrochen ist. Ein merkwürdig zierliches, unversehrtes Nachttischchen steht neben dem verlassenen Bett, einem nachgemachten Ding im französischen Landhausbarock, das wahrscheinlich vom Möbeldiscounter stammt. Alex öffnet die einzige Schublade des Nachttischchens. Die Klinge eines Rasiermessers begrüßt ihn mit einem unheilvollen Zwinkern reflektierten Lichts. Alex zieht die Schublade ganz heraus. Neben dem Rasiermesser enthält sie eine Tube Rasiercreme und Handschellen.
Hinter dem Bett verhüllen Vorhänge ein großes Fenster. Als Alex sie aufzieht, sieht er, dass über das ganze Fenster eine Sperrholzplatte genagelt ist. An dem Holz ist ein kleiner gelber Klebezettel befestigt, der sich durch den Luftzug des Vorhangs löst und zu Boden schwebt. Alex hebt ihn auf und liest:
Helft uns.
Er hört Stimmen – die Arbeiter kommen wieder, um weitere Möbel zu holen. Ihr zurückgebliebener Kollege sagt etwas zu ihnen. Alex versteht nur Bruchstücke, schließt daraus jedoch, dass seine Anwesenheit in der Wohnung endlich doch infrage gestellt wird. Er sieht sich rasch um. Ist hier irgendetwas, das ihm möglicherweise etwas sagen kann, was er wissen sollte? Die Johnsons sind fort. Das ist der wichtigste, hervorstechende Aspekt der Angelegenheit. Erst sind sie auf ekelhafte Weise völlig verkommen – und dann sind sie geflohen.
Auf dem Weg aus der Wohnung kommt Alex wieder durch die stinkende Küche. Er öffnet den Kühlschrank, nimmt einen der Plastikbeutel heraus und steckt ihn in die Tasche.
In dem nach unten fahrenden Aufzug stehen schon eine Frau und ihre zwei kleinen Kinder, doch die steigen im fünften Stock aus, wo ein Spielbereich eingerichtet ist. Sobald Alex allein ist, nimmt er seine Beute aus der Tasche und verschlingt den fleischigen Hamster mit vier raschen Bissen. Es ist eindeutig und ohne Frage das Köstlichste, was er je gegessen hat.
Scham und Schande sind eng miteinander verwandt. Obwohl Leslie viele Freundinnen und Freunde hat, dazu ihre Schwester Cynthia drüben in San Francisco, ihre Mutter, nette Cousins, Cousinen und Kollegen, ist darunter niemand, dem sie die Ängste anvertrauen kann, an denen sie wegen ihrer zunehmenden, unaufhaltsamen Behaarung leidet.
Ihr Gynäkologe Dr. William Yost, der sie regelmäßig untersucht, scheint nicht bereit zuzugeben, dass irgendetwas aus dem Rahmen des Üblichen fällt. Yost ist ein beleibter, nervöser Mann mit einem Toupet, das aussieht, als hätte er es auf dem Flohmarkt erworben. Sein Atem riecht frisch nach Mundwasser mit Pfefferminzaroma, doch darunter verbergen sich die rauchigen Spuren der Zigarette, die er sich heimlich genehmigt hat, bevor er ins Untersuchungszimmer gehinkt ist.
»Ach, so was kommt einfach vor«, sagt Yost, als die in einem Papierkittel steckende Leslie auf die Fellnester verweist, die unerbittlich überall auf ihrem Körper wachsen. »Wichtig ist nur das da …« Er tätschelt ihr den Bauch. »Und alles andere ist völlig okay. Uns geht es hier nur um die Babys.«
Leslie starrt ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Er ist der zweite Arzt, von dem sie bei
Turtle Bay Obstetrics and Wellness
behandelt wird. Zuerst hat sie es mit Dr. Eva Kosloff zu tun gehabt, einer ungewöhnlich kleinen Frau mit irren blauen Augen, die ihr von Anfang an klargemacht hat, dass die hier tätigen acht Ärzte nicht nur die Praxis, sondern auch die Patientinnen teilen, weshalb sie selbst bei der Geburt womöglich nicht anwesend sein werde. Mit einem Blick auf ihr Klemmbrett hat sie hinzugefügt: »Sie kommen also von dem großen Dr. Kiš zu uns.« Nachdem sie diesen Namen ausgesprochen hat, hatte sie anscheinend Schwierigkeiten, Leslie in die Augen zu sehen. »Hat Dr. Kiš Ihnen gesagt, dass manche der Frauen, die er behandelt hat, ein wenig verfrüht gebären?«
»Davon hat er nichts gesagt«, erwidert Leslie, »aber je früher, desto besser. Schauen Sie mal. Ich muss etwas gegen das da tun.« Sie hat ihren Arm angehoben, um die kritische Stelle zu zeigen. »Können Sie sich darum kümmern?«
»Das ist eigentlich nicht mein Fach«, hat Kosloff gesagt und sich rasch umgedreht, um sich zu verabschieden.
Obwohl Leslie normalerweise so gut darin ist, Lösungen für die Schwierigkeiten des Lebens zu finden, ist sie vor Selbstekel regelrecht gelähmt, und auch die Aufgabe, einen Dermatologen zu finden, der ihr vielleicht helfen kann,
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