Breed: Roman (German Edition)
einem Feuer stecken.
»Was geht da vor sich?« Alex fühlt, wie ihm schwindlig und übel wird; einen Moment denkt er, er könnte in Ohnmacht fallen.
»Das hat
er
uns angetan«, sagt Leslie mit zitternder Stimme.
Alex will sie beruhigen, doch ihm fällt nichts ein, was einerseits wahr wäre und andererseits ihr Herz beruhigen könnte. Daher schüttelt er nur den Kopf.
»Er hat uns ruiniert«, sagt Leslie und bricht wieder in Tränen aus. »Er hat uns umgebracht, er hat uns in etwas verwandelt, was … o Gott, Alex. Schau mich bloß nicht an. Es ist nicht nur meine Muschi, es ist überall. Ich sehe geradezu grotesk aus.«
»Das wird sich schon wieder geben, das verspreche ich dir. Und wir werden eine Familie haben.«
»Das hast
du
gewollt.« Leslie hört, was sie gerade gesagt hat, und wird plötzlich aus dem Strudel aus Kummer gerissen, der sie gerade ergriffen hatte. »Okay, jedenfalls kann ich so nicht zur Arbeit gehen«, sagt sie, nimmt Alex am Ellbogen und führt ihn zur Tür.
»Was hast du vor?«, fragt er und entzieht sich ihr.
»Ich werde das wegmachen«, sagt sie.
»Aber wie?«
»Ich werde rasieren, was rasiert werden kann. Und du gehst jetzt sofort zum Drogeriemarkt, um Bleichmittel zu besorgen, ich glaube, es heißt Jolen und dient dazu, die Haare auf dem Gesicht heller zu machen, und außerdem holst du mir eine Tube Enthaarungscreme.«
»Aber …«
Sie stößt ihn mit erstaunlicher Kraft vor die Brust. »Los!«, sagt sie. »Und beeil dich. Ich hab heute Vormittag eine Besprechung mit zwei europäischen Agenten und darf nicht zu spät kommen.«
Für Alex ist dieser kräftige Haarwuchs teilweise ein willkommenes Mittel gegen seinen seit einigen Jahren allmählich immer kahler werdenden Kopf. Ihm ist zwar klar, dass der urplötzliche Besitz eines derart gesunden, dichten und üppigen Schopfes unmöglich
ausschließlich
Vorteile haben kann, aber trotzdem ist er recht zufrieden damit, sein Haar wiedergewonnen zu haben, ohne irgendein künstliches Mittel anzuwenden.
Die körperlichen Veränderungen machen Alex nicht annähernd so viel Sorgen und Angst wie die psychischen Veränderungen, die er durchmacht – und die behält er für sich. Seine Stimmung schwankt von Zorn bis zu völliger Ruhe, und an beiden Enden dieses Spektrums empfindet er so intensive Gefühle wie nie zuvor. Vor dem Besuch bei Dr. Kiš waren die meisten seiner Gefühle, wenn nicht gar alle, gemischter Natur. Selbst im schwärzesten Kummer lag irgendwo der dunkelblaue Schimmer von Hoffnung; selbst in die größte Freude war das Bewusstsein gemischt, dass jede Freude unvermeidlich irgendwann abebbt. Seine Emotionen waren wie Heißluftballons, die immer den Ballast von Erinnerung und Wissen trugen. Nun jedoch ist dieser Ballast verschwunden, und alles, was er empfindet, hat einen absoluten Charakter und ist buchstäblich überwältigend. Er ist nicht nur hungrig – er hat Heißhunger. Er ist nicht nur ärgerlich – er ist voll brodelnder Wut. Er ist nicht sexuell erregt – ihn übermannt die Lust.
Bald rasiert sich Alex morgens wie abends und schneidet sich täglich die Fingernägel. Wenn er seine Zehennägel vernachlässigt, sägen die Nägel der großen Zehen sich durch die Socken – selbst wenn er sie schneidet, verbraucht er monatlich fünfzehn Paar Socken, bis er die nicht mehr bei Brooks Brothers kauft, obwohl es ihm immer ein Gefühl der Kontinuität verschafft hat, seine Strumpfwaren im selben Geschäft zu besorgen, an derselben Theke und vielleicht sogar bei demselben gebückten Verkäufer, von dem schon sein Vater und sein Großvater bedient worden sind. Nun kauft Alex seine Socken en gros in einem Discountladen an der Third Avenue, der sich auf Waren zweiter Wahl und Auslaufmodelle spezialisiert hat. Dort shoppt man zur Begleitung von unsäglich lautem Hip Hop, einer Musik, die Alex weder hip vorkommt noch ihn zum Hopsen verleitet, und die mit ihren dröhnenden Rhythmen und wütend klingenden Vocals Mord für seine sensiblen Ohren ist.
Doch er behält seine Probleme für sich, verschweigt sie nicht nur der Welt allgemein, sondern auch Leslie, so gut es geht. Er ist immer der beständige Teil der Beziehung gewesen. Er war immer derjenige, der die Finanzen und die gesellschaftlichen Verpflichtungen im Blick behalten hat. In jeder Hinsicht hat Alex in seiner Ehe die Zügel in der Hand.
Leslie reagiert auf jede einzelne neue Haarsträhne, die auf ihrem Körper auftaucht, mit Entsetzen. Frauen freuen sich zwar im
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