Breed: Roman (German Edition)
und auf den Boden kracht.
Dr. Ryan ist vorübergehend außer Gefecht, doch Leslie hört das Geräusch schneller Schritte. Sie rennt über den grauen Teppichboden des Flurs ins Wartezimmer und stürzt durch die Tür, die aus der Praxis in den Flur der vierten Etage führt. Keine Zeit, auf den Aufzug zu warten; sie nimmt die Treppe. Seit Jahren hat sie nicht mehr richtig Sport getrieben, findet es jedoch erstaunlich leicht und sogar angenehm, zu rennen. Ihre Schritte federn, aber noch seltsamer und beunruhigender ist eine leise summende Freude in ihrem Herzen. Es ist der erste Moment echten Glücks, den sie erlebt, seit sie auf dem Rückflug von Slowenien Alex’ Hand ergriffen hat. Damals hat sie gedacht:
Ich bin schwanger;
was nun ihr Herz mit wilder Musik füllt, ist ein anderer Gedanke:
Geht mir bloß aus dem Weg!
Kurz nachdem Leslie nach Hause zurückgekehrt ist, kommt die Polizei, um sie festzunehmen. Auf der Fahrt zum Revier kontaktiert sie Alex und ruft Arthur Glassman, ihren gemeinsamen Anwalt, an. Weil der geschickt ist und Leslie noch nie festgenommen wurde, kann er rasch eine minimale Kaution hinterlegen, um sie herauszuholen.
Gegen sieben kommen sie nach Hause. Glassman ist ganz stolz und macht gewaltig Wind, weil er Leslie so schnell freibekommen hat. Leslie gießt den Männern Drinks und sich Mineralwasser ein, dann setzen sie sich in den vorderen Salon und lauschen dem ans Fenster prasselnden Regen und dem Rauschen des Verkehrs unten.
Nachdem Leslie ihr Glas halb geleert hat, entschuldigt sie sich. Sie müsse eine heiße Dusche nehmen, um den scheußlichen Gestank der Polizeizelle loszuwerden.
»Ach Gott, ja, natürlich«, sagt Arthur und erhebt sich von seinem Sessel. Er ist ein immer gut gekleideter Mann Anfang sechzig, in einem englischen Anzug und teuren Schuhen, mit einem krausen weißen Haarschopf und fröhlichen blauen Augen. Er ergreift Leslies Hand und blickt sie mit seiner väterlichen Art an. Dabei beobachtet er sie genau und überlegt, ob er vielleicht ein sichtbares Zeichen des Wahnsinns entdecken kann, der Leslie dazu gebracht hat, einer Ärztin ein Stückchen Fleisch aus dem Finger zu beißen.
Als Leslie das Zimmer verlassen hat, sinkt Arthur wieder in seinen Sessel. »Das wird nicht einfach werden, weißt du?«, sagt er. »Schließlich hat sie diese Frau tatsächlich gebissen.«
»Ist das eine Frage?«, sagt Alex.
»Nein, das ist keine Frage. Die Frau wurde gebissen, und sie hat Leslies Zahnspuren am Körper. Zahnspuren sind noch besser identifizierbar als Fingerabdrücke.«
»Das bezweifle ich nicht.«
»Alex. Was geht da vor sich?«
»Keine Ahnung. Die Schwangerschaft? Sie verändert eine Frau, das weiß doch jeder.«
»Ja, das stimmt. Aber Leslie ist die erste Schwangere, von der ich gehört habe, dass sie eine Dermatologin gebissen hat. Sieh mal, die Sache mit der Schwangerschaft ist eine Karte, die wir ausspielen können, und ich bin sicher, dass wir das auf Bewährung und mit ein wenig Sozialdienst geregelt bekommen. Eine Frau von Leslies Format können die unmöglich einsperren, egal, ob sie schwanger ist oder nicht. Aber sie muss sich schuldig bekennen, um eine Strafminderung zu bekommen. Verstehst du? Wir werden einen Deal aushandeln müssen, und ich garantiere dir, dass diese Ärztin gerade ihre unverletzte Hand dazu verwendet, irgendeinen Winkeladvokaten anzurufen, damit der eine Zivilklage gegen uns anzettelt.«
»Tu einfach, was getan werden muss, Arthur«, sagt Alex.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Alex.«
»Manche Dinge geschehen eben, Arthur. Im Leben von Menschen, in ihrem Körper, ihrer Ehe, private Dinge. Aber was immer es ist, es wird vorübergehen, da bin ich mir sicher.«
»Was sagt denn ihr Arzt? Und übrigens, wer ist euer Gynäkologe?«
»Ach, dieser Dr. Bla-bla, keine Ahnung. Es ist eine Praxis mit acht Ärzten, und wir kommen jedes Mal zu jemand anders. Da geht es ausschließlich ums Geldmachen, aber uns ist das ganz recht. Wir wollen keinen Gynäkologen, der uns ständig auf die Pelle rückt. Hör mal, Arthur, wir haben lange auf diese Schwangerschaft gewartet, und jetzt zählt nur eines – dass Leslie beschützt wird, dass sie sich wohlfühlt und dass wir dieses Kind bekommen.«
»Das ist mir klar. Aber dieser Dr. Bla-bla oder einer seiner Kollegen, ist denen an Leslie nichts … Besonderes aufgefallen? Nichts, was ungewöhnlich wäre?«
»Was willst du damit andeuten?«
»Ich deute überhaupt nichts an, alter Junge. Ich
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