Breed: Roman (German Edition)
wird dadurch erschwert, dass sie heimlich vorgeht. Sie surft im Internet und findet eine Ärztin unten in Greenwich Village, in deren Praxis sie sich gerade befindet. Im Wartezimmer setzt sie sich neben zwei wohlhabend aussehende Inderinnen in prachtvollen Saris, die freundschaftlich miteinander plaudern, während ihre zusammengewachsenen Augenbrauen sich ausdrucksvoll heben und senken. Außerdem sitzen da eine niedergeschlagene Jugendliche, schlank und groß, die ein Model sein könnte, wenn sie keinen auffälligen Schnurrbart hätte, und eine spröde Frau im Hosenanzug, die die Knie zusammenpresst und ihre Handtasche auf dem Schoß hält. Sie hat die Koteletten eines Elvis-Imitators.
In Leslies Handtasche klingelt ihr Handy, und sie liest eine Nachricht ihres Assistenten Robert. »Sind Sie im Verlag? Die Probedrucke der Umschläge sind da, und sie schauen scheußlich aus!!«
Nein, ich bin nicht im Verlag
, denkt Leslie.
Mein ekliger Körper hockt in der Praxis einer Haarentfernungsspezialistin, vielen Dank.
Endlich ist Leslie an der Reihe, ins Sprechzimmer der Ärztin zu treten. Sie heißt Carole Ann Ryan und ist eine junge Frau mit eingefallenen Wangen, einem Pagenschnitt und einer übergroßen Brille mit rotem Rahmen, die farblich zu ihrem Haar passt. Sie wirft einen Blick auf ihr Klemmbrett und fragt: »Na, was haben wir für ein Problem?«, obwohl trotz Leslies Kleidung offensichtlich ist, dass sie an extremem Hirsutismus leidet.
Leslies Augen lodern, als sie die Ärztin lange anstarrt, bis sie schließlich ihre Bluse aus dem Rock zieht und ihren Rumpf entblößt, der noch dichter mit dunklem Haar bedeckt ist als am Tag zuvor. Obgleich Dr. Ryan ausführlich Bekanntschaft mit Narben, Eiterbeulen, Ekzemen, Schuppenflechte, Entzündungen, nässender Akne und Krebsgeschwüren gemacht hat, hat sie nie etwas gesehen, das so nahe daran ist, ihr den professionellen Magen umzudrehen. Leslie bemerkt, wie die Kehle der Ärztin zittert, während diese ihren Schock hinunterschluckt. Die hellbraunen Augen weiten sich hinter den dicken, getönten Gläsern. Sie greift nach einem Stuhl, zieht ihn heran, lässt sich darauf sinken und stößt einen Seufzer aus.
»Werden Sie wegen Endometriose behandelt?«
»Nein. Wieso fragen Sie?«
»Ach, manchmal kann die Behandlung zu einer gewissen Menge unerwünschter Haare führen. Wie steht es mit Gewichtsverlust? Haben Sie in letzter Zeit erheblich abgenommen?«
»Sind Sie blind? Ich bin schwanger. Ich nehme ständig zu.«
»Okay. Ich möchte nur die normalen Ursachen ausschließen.«
»Normal? Sieht das etwa normal aus?«
»Also … Sie sind schwanger«, sagt Dr. Ryan und wirft einen Blick auf den Fragebogen, den Leslie als neue Patientin ausgefüllt hat. »Das ist äußerst interessant. Sie wissen ja, dass Schwangerschaft oft von einer gewissen Zunahme des Haarwuchses begleitet wird.«
»Das ist keine
gewisse Zunahme
«, sagt Leslie. Sie nimmt sich vor, sich zu beruhigen, doch in ihr kocht es vor Wut.
»Wichtig ist jedenfalls, dass Sie versuchen, Ihre Schwangerschaft zu genießen«, sagt die Ärztin. »Das ist eine ganz besondere Zeit im Leben einer Frau.«
»Ich kann so nicht leben. Ich habe einen Beruf, ich bewege mich in der Öffentlichkeit. Das ist nicht machbar.«
»Wenn Ihre Versicherung für eine Haarentfernung aufkommt, können wir das hier bei uns machen. Falls nicht, können wir Ihnen einige zuverlässige Adressen nennen, wo es nichtmedizinisch gemacht werden kann.«
Etwas weckt Dr. Ryans Aufmerksamkeit – das Licht hat das Haar über Leslies Oberlippe so erfasst, dass es dichter aussieht als bisher. Von einer grausamen, kindischen Neugier erfasst, tritt die Ärztin mit gerunzelter Stirn und gespitzten Lippen näher an Leslie heran. Wie ein Kind, das einen Stein umdreht, um zu sehen, was für ekliges Kriechzeug wohl darunter ist, tippt sie mit einem Finger nach Leslies Schnurrbart.
Blitzschnell, wie ein Tier in der Wildnis und mit nicht mehr Vorbedacht als ein vom Baum fallender Apfel, schlägt Leslie die Zähne in den Finger der Ärztin. Die schreit vor Schmerz und Schrecken auf, während sie mit der linken Hand nach ihrem rechten Zeigefinger greift.
Leslie ist inzwischen aufgestanden, ohne sich um das Schmerzensgeheul der Ärztin zu scheren. Sie täuscht eine Attacke auf Ryan vor, die sich furchtsam duckt. Dann legt sie die Hände auf Ryans Schultern und stößt die Ärztin so gewaltsam gegen die Wand, dass ein daran befestigtes Glasschränkchen sich löst
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