Breed: Roman (German Edition)
hat eine bestimmte Eigenheit.«
»Und die wäre?«, drängt die Stimme.
»Die Grundel ist ein kannibalischer Fisch. Sie frisst ihre eigenen Artgenossen.« Die Stimme von Kiš klingt abgehackt und sachlich; was es ihn kostet, diese Worte auszusprechen, wird sein Geheimnis bleiben.
»Genauer?«, fragt der Mann hinter der Kamera.
»Ich arbeite die ganze Zeit«, sagt Kiš, nun voller Emotion. »Verstehen Sie das nicht? Die ganze Zeit. Um das Serum zu perfektionieren, die Mängel zu beseitigen. Und um zu erfahren, wie einige der ungünstigen Nebenwirkungen vielleicht revidiert werden können.«
»Siehst du? Er kann es revidieren«, sagt Leslie.
»Abwarten«, flüstert Alex und zeigt mit einer Geste an, dass Leslie hören soll, was Kiš als Nächstes sagt.
»Sie haben doch gerade über diesen Fisch gesprochen«, sagt der Mann, der Kiš so behutsam befragt. »Diesen kannibalischen Fisch.«
»Was soll ich denn dazu sagen?«
»Das, was wir vorab besprochen haben.«
Kiš stößt einen gewaltigen Seufzer aus und blickt in die Ferne. »Sie verhält sich kannibalisch. Die Grundel.«
»Und genauer?«
»Genauer? Das wollen Sie hören? Na gut. Genauer gesagt, frisst die Grundel gern ihre eigenen Jungen. Das scheint ihre bevorzugte Nahrung zu sein. Aber das ist jetzt von juristischer Bedeutung. Verstehen Sie? Meine Anwälte haben mir geraten, nur sehr wenig zu sagen, bis diese Probleme gelöst sind.«
Mit einem leisen Knall und einem Zischen wird der Bildschirm dunkel. In dem plötzlichen Schweigen hören Alex und Leslie die schwachen Schreie des Mannes, der in ihrem Keller eingekerkert ist.
»Das sollten wir eigentlich nicht hören«, sagt Alex. »Ich hab wohl die Tür offen gelassen.« Er will aufstehen, doch Leslie legt ihm die Hand auf den Unterarm, um ihn aufzuhalten.
»Was hat er uns angetan?«
»Keine Ahnung.«
»Alex.«
»Das Worst-Case-Szenario? Das ist genau das, was wir denken.«
»Wir sind eine Gefahr für unsere eigenen Kinder.« Leslies Stimme klingt flehentlich, als wäre es ihr größter Wunsch, dass Alex ihr widerspricht.
»Manchmal«, sagt er, »haben wir unsere guten Tage, und manchmal haben wir unsere schlechten Tage.«
Wieder steigen die schwachen Schreie aus dem Keller auf. Mit erschrockener Miene wendet sich Leslie dem Geräusch zu, während Alex sich mit dem Handrücken den Speichel aus dem Mundwinkel wischt.
Das Heulen macht ihn hungrig.
Rot zitternd steht die Sonne über dem kleinen Stückchen des East River, das Michael von seinem Fenster aus sehen kann. Es ist kurz vor sechs Uhr morgens, und von den Straßen unten steigen bleiche, dünne Lichtstängel auf. Michael ist erschöpft. Er hat kaum geschlafen und ist voller Sorgen – was er wegen Adam tun soll, was Adams wahnsinniger, streitsüchtiger Vater wohl als Nächstes tut, und als ob das nicht ausreichen würde, macht er sich große Sorgen um Xavier. Seit er erfahren hat, dass der nicht bei seiner Schwester angekommen ist, sind seine Gedanken hin und her gerissen wie ein Fisch, den zwei verschiedene Angler am Haken haben und auf zwei verschiedene Ufer zerren. Einerseits hat er Angst, Xavier könnte einen Unfall gehabt haben oder in irgendwelche anderen Schwierigkeiten geraten sein, andererseits ist er sich nicht sicher, ob Xavier nicht jemand anders aufgegabelt hat, aus Rache dafür, von Michael praktisch aus der Wohnung geworfen worden zu sein. Vielleicht hat Xavier sich letzte Nacht aber auch deshalb ein anderes Bett gesucht, weil er gelangweilt ist von Michaels Ungeselligkeit und dessen Neigung, zu Hause zu bleiben. Hat Xavier sich nicht regelmäßig beschwert, dass sie nicht oft genug ausgehen und am pulsierenden Nachtleben teilnehmen?
Als Michael mit Duschen fertig ist und wieder ins Wohnzimmer kommt, halb in der Hoffnung, dort den bußfertigen Xavier vorzufinden, Tränen in den Augen oder sogar – das wäre das Beste! – leicht verletzt, sitzt Adam auf dem Sofa, das immer noch mit Laken und Decken bedeckt ist. Im Schoß hat er eine Schale Cornflakes, die er gierig in sich hineinschaufelt. Mit gleichermaßen nervöser wie grimmiger Miene blickt er zu Michael hoch.
»Ich wollte dich gerade aufwecken«, sagt Michael und versucht, elterlich zu klingen, obwohl er nur ein Handtuch um die Hüften trägt.
»Ich stehe immer früh auf.«
»Tja, es ist ohnehin Zeit, zur Schule zu gehen.«
Adam konzentriert sich auf seine Cornflakes.
»Adam?«
»Kann ich noch was zu essen haben?«
»Natürlich. Soll ich’s dir
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