Breed: Roman (German Edition)
mich auszufragen! Wir sind hier doch nicht in der Schule. Außerdem ist er ein Arzt, oder? Er ist kein Millinär.«
»Militär.«
»Was sagt er eigentlich? Hören wir es uns an. Oder doch nicht? Keine Ahnung … man weiß ja nie. Vielleicht erfahren wir etwas.« Sie stößt Alex’ Hand weg und klickt auf
Start
, um den Clip weiterlaufen zu lassen.
»Hallo«, sagt Kiš. »Mein Name ist Slobodan Kiš, und ich praktiziere seit 1987 als Arzt in Slowenien, hauptsächlich in meiner Heimatstadt Ljubljana.«
»O Gott«, sagt Leslie. »Das ist unerträglich. Scheiße, das ist wirklich unerträglich.«
»Viele Jahre war ich fasziniert von den Geheimnissen der menschlichen Fortpflanzung«, sagt Kiš. Er hält inne, schluckt und wischt sich mit seinem gefleckten, zitternden Handrücken die Mundwinkel ab. »Ich habe unfruchtbare Paare behandelt, erst in meiner Heimatstadt, dann in ganz Europa, und schließlich sind sie von überallher gekommen – aus China, den USA , Großbritannien. Ich hatte Erfolge und Misserfolge. Und im Sommer 1999 habe ich eines Tages eine Fruchtbarkeitstherapie erfunden, die erkennen ließ, dass wir in der Wissenschaft der menschlichen Fortpflanzung eine neue Schwelle erreicht hatten. Ich habe endokrines Material aus menschlichen und nichtmenschlichen Quellen gemischt und damit Injektionen verabreicht, die eine stimulierende Wirkung auf das menschliche Fortpflanzungssystem hatten. Diese Wirkung war nichts weniger als wunderbar.«
Eine Störung läuft durch das Video, Lichtblitze wie die Äste eines kahlen Baums, und einen Moment lang ist das Bild des gequälten, alten Arztes ein verzerrtes, zerfetztes Negativ seiner selbst. Rasch fließt jedoch wieder alles zusammen, und nun hält Kiš ein riesiges Fotoalbum in den Händen. Es ist mit einem plüschigen, wattierten Stoff bezogen, der aussieht, als stammte er von dem Sofa im Wartezimmer einer Wahrsagerin. Mit einiger Schwierigkeit öffnet Kiš das Album, und auf jeder Seite sieht man acht Schnappschüsse, von Säuglingen bis zu jungen Leuten in militärischer Uniform. »Dass diese Menschen heute am Leben sind, liegt an mir, an meinem Werk, meiner Wissenschaft.« Er blättert die Seiten um, erst langsam und dann rasch, als würde das Ganze seine Geduld strapazieren. Die Bilder flattern vorüber.
»Hey«, sagt eine Stimme, die eines halbwüchsigen Jungen. »Ich glaube, ich hab uns da in dem Album gesehen.«
»Wer ist das?«, fragt Leslie. »Was ist da los?«
»Zwei Jugendliche. Wir sehen gerade, wie sie das Video ansehen«, sagt Alex. »Sie sind es, die es hochgeladen haben.«
»Mein Gott«, sagt Leslie. »Mir wird gleich übel.«
Die Videokamera, mit der die beiden Jungen den Clip von Kiš aufgenommen haben, schwenkt zur Seite und zeigt ein chaotisches Schlafzimmer, ein Fenster mit zerfetzten grünen Vorhängen und dann wieder den Flachbildschirm, auf dem der Clip läuft.
»Spul mal zurück«, sagt einer der Jungs.
»Leck mich, Mario«, sagt der andere. »Hab keinen Bock drauf.« Dennoch tut er, wozu man ihn aufgefordert hat, und dann ist das Bild des Albums mit Kiš’ Leistungen eingefroren.
»Klar, das sind wir!«, ruft Mario, läuft zum Bildschirm und tippt mit dem Finger daran. »Wir sind da drin!« Er ist ein zierlicher Junge mit schulterlangem Haar und schief stehenden Augen.
»Schau dir mal an, was mit diesem Typ passiert ist«, sagt Alex. »Schau dir seine Augen an, sein Gesicht. Schau, wozu er geworden ist.«
Die Jungen lassen den Clip weiterlaufen.
»Ein Arzt wird nicht nur an seinen Erfolgen gemessen«, sagt Kiš. »Das, was misslingt, verstellt oft den Blick auf viel Gutes.«
»Genau«, sagt einer der Jungen höhnisch, »du hast ganz schön Scheiß gebaut, Alter.«
»Einen Riesenscheiß«, sagt der andere Junge. Dann brechen beide in schallendes Gelächter aus.
Der Doktor verstummt, als könnte er den Spott der Jungen hören. Er blickt auf seine Hände, die auf dem Tisch vor ihm ruhen.
»Er sieht um hundert Jahre älter aus«, sagt Leslie. Sie hat die Hand auf die Brust gelegt, um ihren Atem zu verlangsamen, aber so verbraucht und melancholisch dieser Mann auch ist, so verzweifelt und gehetzt er sich auch verhält, sein Anblick stößt sie in den Augenblick zurück, in dem er in seiner Praxis über ihr aufragte, eine übermächtige Gestalt, die sie mit ihren Spritzen fast zu vergewaltigen schien.
»Wollen Sie nicht darüber sprechen, dass eine Komponente Ihres Serums von Hunden stammte?«, fragt die freundliche
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