Breed: Roman (German Edition)
holen?«
Statt zu antworten, springt Adam auf, läuft in die Küche und schüttet so viele Cornflakes in seine Schale, dass kaum noch Platz für Milch ist.
»Da wir gemeinsam hinfahren, wirst du ein wenig früher da sein als sonst. Wir kommen vor den anderen Schülern an.« Er sieht zu, wie Adam die Cornflakes in den Mund schaufelt.
»Bitte zwingen Sie mich nicht dazu«, bringt Adam endlich heraus.
»Du musst hin. Schule ist Schule.«
Adam schüttelt abwehrend den Kopf.
»Komm schon, Adam …«
»Genau da wird er nach mir suchen.«
»Und das ist genau das, was passieren muss. Egal, was zwischen dir und deinen Eltern läuft, du wirst es nicht lösen, indem du wegrennst oder dich hier versteckst.«
Adam schüttelt nur noch entschiedener den Kopf.
»Also, hierbleiben kannst du jedenfalls nicht. Ich gehe in die Schule, und du wirst mitkommen müssen.«
»Er wird mich umbringen. Oder Mom bringt mich um. Oder beide.«
»Adam! Das kann doch wohl nicht wahr sein!«
»Doch. Sie tun so was. Sie sind anders als alle anderen. Sie können nicht mal was dagegen machen.«
»Bist du sicher, Adam? Bist du sicher, dass du nicht gerade bloß total wütend bist und dir das ausdenkst?«
»Sie haben ihn ja gesehen. Er war hier drin. Sie haben ihn gesehen.«
»Das stimmt. Und alles, was ich gesehen habe, war ein Vater, der nach seinem Sohn gesucht hat. Ich hätte dich ihm gleich da übergeben sollen. Hab bloß nicht klar gedacht.«
»Doch, das haben Sie. Sie haben es gemerkt.«
»Vielleicht sollte ich ihn gleich jetzt anrufen.« Michael wirft einen Blick auf sein Handgelenk, um nachzuschauen, wie viel Uhr es ist, aber er trägt gar keine Uhr. Genauer gesagt, trägt er überhaupt nichts – nur das Handtuch. Ein unheimliches Schuldgefühl überkommt ihn, wie man es empfindet, wenn man zwar nichts Falsches tut, aber doch etwas, wodurch man sich Fehlinterpretationen und Anschuldigungen aussetzt. Er weiß, dass immer noch viele Leute der Meinung sind, man könne schwulen Männern im Umgang mit Jungs nicht vertrauen, wenngleich es für Michael keinerlei Reiz hat, mit jemandem zusammen zu sein, der jünger, kleiner, leichter oder weniger behaart ist. Er mag das Gewicht und den Geruch eines kräftigen Körpers auf sich, ein dominantes Verhalten, feste Berührungen. Er mag es sogar, wenn jemand ein wenig autoritär auftritt, wozu Kubaner offenbar besonders neigen.
Xavier? Wo bist du?
»Ich will nicht, dass Sie ihn anrufen«, sagt Adam ganz leise.
»Dann mach dich bereit für die Schule, und sobald wir dort sind, bringen wir die ganze Sache in Ordnung.«
»Ich will nicht.«
»Adam, ich glaube, du bist alt genug, um zu kapieren. Ich bin Lehrer. Das ist mein Job. Und man schmeißt mich womöglich raus, wenn ich mich zwischen einen meiner Schüler und dessen Eltern stelle oder wenn es auch nur so aussieht.«
»Selbst wenn die Eltern den Schüler sonst umbringen werden?«
»Niemand bringt irgendjemanden um, Adam.«
»Ach ja?«
»Ja. Komm, sei vernünftig.«
»Das bin ich.«
»Okay, dann bin ich als dein Lehrer gesetzlich verpflichtet, das Jugendamt zu informieren. Ich muss den Leuten da sagen, dass deine Eltern versuchen …« Michael hält inne, aber es ist schon zu spät. Er hat sich auf ein Territorium vorgewagt, dem er sich nicht einmal hätte nähern sollen. Die Eltern an seiner Schule sind großteils reiche, fordernde, anspruchsvolle Alphatiere, und die Verwaltung hat immer die Politik verfolgt, auf die Wünsche und Launen der Eltern einzugehen, von deren Gebühren und gelegentlichen Spenden die Schule abhängt. Diese Politik wird nicht offen formuliert, ist deshalb aber nicht weniger bindend. Über dem gotischen Vordereingang ist zwar der Spruch
Wissen ist Freiheit
eingemeißelt, doch ein ehrlicheres Motto würde lauten:
Der Kunde hat immer recht
, und an solchen Privatschulen schreibt der Kunde mit einem kostspieligen Montblanc-Füller.
»Wieso glauben Sie mir eigentlich nicht?«, fragt Adam. Seine Unterlippe zittert.
»Adam, ich kann jetzt nicht mit dir diskutieren. Wir fahren zur Schule, und wir brechen in zehn Minuten auf. Sobald wir dort sind, werde ich diesen Anruf machen, falls du mir nichts anderes sagst.«
Zehn Minuten später kommt Adam aus dem Badezimmer, geduscht, mit nass gekämmtem Haar und starrer, unglücklicher Miene. Wortlos folgt er Michael in den Aufzug und durch das Foyer. Es ist ein kalter, stählerner Morgen mit einer steifen Brise, die den Geruch von verbranntem Kaffee trägt.
Adam hat sich
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