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Breed: Roman (German Edition)

Breed: Roman (German Edition)

Titel: Breed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chase Novak
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an, und plötzlich sieht Cynthia die ganze öde Landschaft dieser Ehe, in der diese arme Frau für immer und ewig die Ruppigkeiten ausbügeln wird, die ihr Mann begeht. Sie wird die schmutzigen Socken seines schlechten Benehmens aufheben, bis sie tot umfällt – oder sich davonmacht.
    Genau in diesem Augenblick läutet das Ladentelefon. Cynthia schaut auf das Display, um die Nummer zu erkennen, doch der Kunststoff ist verschmiert, und ihre Augen sind nicht besonders gut, weshalb sie trotz der technischen Unterstützung wie üblich keine Ahnung hat, wer anruft. Normalerweise geht sie gar nicht dran, doch diesmal tut sie es, und zwar in erster Linie, um sich davor zu bewahren, den jungen Mann anzublaffen.
    »Hallo«, sagt sie, statt ihren Namen zu nennen.
    Atemgeräusche, schwer und mühsam. Sie sollte aufhängen – zuzuhören, wie irgendein erbärmlicher Trottel sich selbst befriedigt, ist kein guter Tagesanfang. Dennoch versucht sie es noch einmal und wiederholt ihr
Hallo
.
    »Cindy«, sagt die Stimme. Es sind nur zwei Personen am Leben, die sie noch so nennen, und eine davon, ihre Mutter, liegt im Koma.
    »Hallo, Leslie.« Cynthia wirft einen Blick auf die Tischuhr, die neben dem Telefon steht; es ist elf in Kalifornien, also zwei Uhr nachmittags in New York. Falls Leslie sich überhaupt in New York befindet. Sie kann genauso gut in Frankreich oder auf dem Mond sein. Cynthia wartet darauf, dass Leslie ihr einen Grund für den Anruf nennt, doch sie hört sie nur weiter atmen. Das ist ebenso besorgniserregend wie ärgerlich, und Cynthia will schon auflegen.
    »Cindy?«
    »Was willst du, Leslie? Ich wundere mich, dass du überhaupt …«
    »Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«
    Cynthia presst die Lippen zusammen, doch sie spürt den starken Druck der Tränen, die ihr in die Augen treten.
    »Wie geht’s dir, Les? Gut?« Sie kann einfach nicht anders.
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Nein, mir geht es nicht, mir geht es nicht …« Leslie weint – oder doch nicht? Sie gibt ein grässliches, ersticktes Heulen von sich, das nach Kummer klingt, ohne dass Cynthia jemals etwas Ähnliches gehört hätte. Sie fragt sich – Alex? Ist Alex etwas zugestoßen? Oder hat Alex – dessen widerwärtiges, völlig irres Verhalten letztlich der Grund für den Streit zwischen den beiden Schwestern war – Leslie verlassen, sie geschlagen, etwas Unverzeihliches getan?
    »Was ist denn los, Les? Weshalb rufst du an?«
    »Meine Babys …«
    Um Gottes willen
, denkt Cynthia.
Was könnte schlimmer sein?
    »Was ist mit denen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Das weißt du nicht?« Cynthia hört das Läuten von Schlittenglöckchen, dann schließt sich lautstark die Tür – das junge Ehepaar ist weitergezogen, auf der Suche nach einem anderen Antiquitätengeschäft, in dem der Kerl seine Fachkenntnisse demonstrieren kann.
    »Sie sind weggerannt!«
    »Beide?«
    »Ja.«
    »Wie lange ist das her?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Das weißt du nicht? Aber das musst du doch wissen!« Cynthia merkt, wie sie in die alte, wunderschöne Vertrautheit der Beziehung zu ihrer Schwester hineingezogen wird, und versucht, diesen Vorgang aufzuhalten – das ist so, wie nach zehn Jahren Abstinenz plötzlich von einer Flasche Fusel in Versuchung gebracht zu werden.
    »Zwei Tage vielleicht?« Inzwischen neigt Leslie dazu, den Verlauf der Zeit in Mahlzeiten zu berechnen, aber sie weiß, es wird Cynthia abstoßen, wenn sie
vor vier Essen
sagt. Sie spürt Ungeduld. Wie ist es möglich, dass Alex immer noch seine Armbanduhr verwenden, Rechnungen bezahlen und mit Außenstehenden sprechen kann?
    »Habt ihr die Polizei benachrichtigt?«, fragt Cynthia.
    Leslie schweigt. Schließlich sagt sie: »Ja.«
    »Und was sagt die?«
    »Nichts. Die hilft uns nicht.«
    »Die hilft euch nicht?«
    »Das musst du!«
    »Was muss ich?«
    »Uns helfen. Wir sind verteufelt.«
    »Verteufelt?«
    »Nicht verteufelt. Äh … verzweifelt. Wir sind verzweifelt …«
     
    Cynthia lebt in einer Sechszimmerwohnung in Telegraph Hill, und nachdem sie ihren Laden früher als geplant geschlossen hat, sitzt sie an ihrer Frühstückstheke, trinkt grünen Tee und isst Butterkekse. Aus der Nachbarwohnung hört sie Musik kommen, heitere, fröhliche, flotte Musik, Folk-Rock für brave Mädels, Musik, die wie eine Verhöhnung von Cynthias Innenleben klingt.
    Sie tunkt ihren Butterkeks in den Tee – das Gute am Alleinleben ist, dass man sich nicht allzu sehr um die eigenen Essgewohnheiten oder sonstige Manieren

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