Breit - Mein Leben als Kiffer
hinsetzen. Wir haben
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bekommen, was wir wollten. Der Auftritt von
Petras Vater, der ein bisschen aussieht wie Mr
Bean, war für uns so herrlich wie selten ein
Telefonstreich. In den nächsten Wochen werden
wir uns gegenseitig immer wieder an ihn
erinnern, um uns erneut zu bepissen. Wir
machen uns auch über Petras Lachen lustig.
Dirk verarscht sie häufig damit, denn es klingt
wie ein Pferdewiehern.
Ich habe inzwischen vollkommen vergessen,
dass ich noch vor einiger Zeit ein richtig guter
Freund von Petra gewesen bin und wir uns sehr
gemocht haben. Auch dass ich mich früher mit
den anderen Mädchen gut verstanden habe und
mit meiner Mutter sehr gut klarkam,
stundenlang abends mit ihr am Esstisch
zusammen gesessen und geredet habe, ist
längst vergessen. Kaum vorstellbar, dass ich
noch vor zwei Jahren die Sommerferien
glücklich in Wilster verbracht habe und
höchstens mal heimlich Schokolade aus dem
Speiseschrank geklaut habe – und das war
auch schon mein schlimmstes Vergehen.
Seitdem habe ich mich ganz schön verändert.
Bei uns Jungs geht es zu wie in einer
Affenbande. Wir halten zusammen gegen die
Außenwelt, doch unsere ganze Freundschaft
besteht aus Angeberei und derben Sprüchen.
Solange man über die Schwächen anderer
redet, fühlt man sich selbst prima. Wir finden
immer jemanden, den wir niedermachen und
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über dessen «Behindertheit» wir uns amüsieren
können. In unseren Augen sind wir von Spastis
und Mongos, Honks und Wichsern umgeben. Ob
nun Lehrer und Schüler von unserer oder von
anderen Schulen, ob Brillenträger und Streber
oder peinliche Möchtegerne – wir zerfleischen
sie alle. Und das nur, damit wir etwas haben,
worüber wir reden können. Über Dritte zu
lästern schweißt zusammen und wertet das
eigene Ego auf, zumindest scheinbar. Wir
hassen diese Leute nicht wirklich, sondern
ziehen nur über sie her, weil die anderen das
auch tun und jeder sich der Gruppe anpasst. So
ist zum Beispiel die Deichmann-Marke Victory
inzwischen ein echter Running Gag geworden.
Wir sind fast alle von Haus aus so wohlhabend,
dass wir ständig die neuesten, besten,
teuersten Schuhe und Klamotten bekommen.
Leute, die Victory-Schuhe, von uns abfällig
«Vicys» genannt, bei «Deichi» kaufen, weil sie
nicht so viel Geld haben, sind in unseren Augen
erbärmlich. Wir hingegen sehen wie echte Hip
Hopper aus und tragen weite Hosen, Carhartt-
Jacken und Marken-Skateboardschuhe.
Am peinlichsten finden wir deshalb auch die
Möchtegerne. Die Typen, die es sich zur
Aufgabe gemacht haben, den deutschen Hip
Hop zu «representen», und die sich im
Fernsehen über «Realness» und «tighte Flows»
unterhalten. Wir sagen zwar auch mal «tight»
und «real», doch wir stehen irgendwie über
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allem. Dass wir selbst eigentlich die Peinlichsten
von allen sind, merken wir nie.
Ich glaube aber auch, dass uns letztlich die
Situation in unserem skurrilen Land und auf
unserer komischen Schule so roh und
unzufrieden mit dem Leben macht. Wir alle
haben erfolgreiche Eltern, die versuchen, uns
zu beeinflussen. Sie haben bestimmt, dass wir
auf dieses Gymnasium gehen, welches das
beste Hamburgs sein soll. Wir reden oft
darüber, wie sehr wir diese Schule hassen.
Jeden Tag sollen wir früh aufstehen, um in
diesen riesigen Affenzirkus zu gehen. Dort
sitzen wir dann den ganzen Tag in einem
standardisierten, hässlichen Raum und müssen
uns Sachen anhören, die uns nicht im
Geringsten interessieren und auch nie
interessieren werden. Am schlimmsten sind
aber unsere Mitschüler auf unserer ach so
ehrwürdigen und traditionsbewussten Schule,
die sich wie gehirnamputierte Crash-Test-
Dummies benehmen, weil sie nicht merken,
welches Spiel sie unfreiwillig mitspielen. Zu
Hause wollen unsere Eltern ständig mit uns
über unsere Zukunft reden, denn mit unseren
Leistungen und mit diesem Verhalten kann es
ja so nicht weitergehen.
Natürlich sehen wir ein, dass wir, um in
dieser Gesellschaft etwas werden zu können,
Abitur brauchen. Aber das ist doch scheiße! Nur
die mit Abitur können was werden, die anderen
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enden als Klempner oder Kfz-Mechaniker? Das
ist bei uns schon ein geflügeltes Wort
geworden: «Wenn ich es nicht schaffe, dann
werde ich eben Kfz-Mechaniker und verdiene
mir was dazu, indem ich in Talkshows über
meine Nachbarn ablästere.» Obwohl wir wissen,
dass unsere Träume von der großen weißen
Yacht und der
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