Breit - Mein Leben als Kiffer
Villa nichts werden ohne Bildung,
hassen wir die Schule und alles, was mit ihr
zusammenhängt. Wir sind nicht von Grund auf
faul, böse, gemein oder dumm. Wir fühlen uns
bloß fehl am Platz.
Alles, womit wir tagtäglich konfrontiert
werden, kommt uns lächerlich und absurd vor:
hirnlähmende Waschmittelwerbung und wütend
schreiende Politiker, die sich wie
Kindergartenkinder im Streit um ein rosa
Förmchen benehmen. Im Fernsehen können wir
ganze Bataillone von Proleten betrachten, die
sich in Talkshows gegenseitig beschimpfen. Das
ist unsere Welt, die Realität, in der wir leben.
Nur wir machen da nicht mit. Wir halten uns
für besonders schlau, obwohl oder auch gerade
weil wir nicht gut in der Schule sind. Hören Hip
Hop und haben viel Mitgefühl für all diejenigen,
die richtig weit unten sind und kriminell sein
müssen, so wie Jim Caroll.
Wenn wir nicht zusammen sind, verhalten wir
uns allerdings ganz anders. Bei unseren Eltern
sind wir oft immer noch die braven Söhne, mit
denen man sich gepflegt über Politik und
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Wissenschaft unterhalten kann. Aber langsam
schwappen die Attitüden, die wir untereinander
entwickelt haben, in das häusliche Leben über,
und die eigene Mutter soll sich auch schon mal
«verpissen», «ins Knie ficken» oder «nicht
rumnerven».
Meine Mam guckt dann zwar immer ganz
entsetzt, hat aber Verständnis für diese
«pubertäre Phase», wie sie es nennt, und lässt
mich dann in Ruhe. Oder sie ist nicht da.
So wie jetzt. In dieser Nacht rauche ich so
viele Zigaretten wie nie wieder in meinem
ganzen Leben. Ich rauche mit den Jungs Kette.
Um Angst vor Krebs zu haben, sind wir viel zu
tough. Wir wollen uns zudröhnen, denn wir sind
gierig nach den Erfahrungen der
Erwachsenenwelt. Wir wissen, dass man vom
Rauchen einen Nikotinflash bekommen kann,
und versuchen alles, um dieses Ziel zu
erreichen.
Dirk raucht die ekelhaftesten Zigaretten, die
ich kenne. Er meint, sie schmecken ihm. Dirk
wird mir in letzter Zeit immer unsympathischer,
denn er hat mir immer noch nicht einen Cent
von dem Geld zurückgegeben, das er mir
schuldet. Im Gegenteil, er macht ein Spiel
daraus, verspricht es mir wieder und wieder
und lacht mich dann aus, sobald ich es
einfordere. Lange lasse ich mir das nicht mehr
gefallen. Irgendwann ist Schluss mit lustig.
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«Es wird Zeit für die zweite Flasche Sekt»,
verkündet Jan und reißt mich aus meinen
Gedanken.
Dirk öffnet die Flasche und spritzt uns voll.
Wir bewerfen ihn dafür mit nassem Klopapier.
Markus, Jan und Florian rauchen
währenddessen einen Kaffee-Kakao-Joint. Wir
wollten eigentlich richtiges Gras rauchen,
wissen aber nicht, wo wir welches auftreiben
können. Florians Kontakt war wohl doch nicht
so viel versprechend.
«Das Scheißzeug wirkt nicht», meckert er.
«War echt ’ne Scheißidee, ’nen Kaffee-Joint
zu rauchen, hab noch nie so etwas Dämliches
gemacht», meint Jan großspurig.
Dirk und ich sind gerade dabei, eine
Rotweinflasche meiner Mutter zu öffnen, als das
Telefon klingelt. Es ist unsere Nachbarin: Wir
sollen die Musik leiser machen. Wir hören aber
gar keine Musik, sondern schauen fern, und das
wird ja wohl erlaubt sein.
«Ja, ja, ich werde mal sehen, was sich
machen lässt. Ja, ja, ja, tschüs!»
In der Gegenwart meiner Kumpel bin ich zu
Erwachsenen oft sehr dreist. Schließlich will ich
keine Schwäche zeigen oder mich so
benehmen, als würde ich mich unterwerfen. Ich
bewundere Dirk dafür, dass er ausnahmslos
jeden Erwachsenen duzt. Er will ihnen dadurch
zeigen, dass sie keinen Grund haben, sich ihm
überlegen zu fühlen. Auch wenn der Rest von
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uns vielleicht in Wahrheit von der Schule nicht
unterfordert ist, bei Dirk besteht da kein
Zweifel. Dass er von uns allen am meisten auf
Scheißebauen abfährt, liegt wohl daran, dass er
nicht weiß, wo er sonst mit seiner Energie
hinsoll. Vielleicht ist es auch diese Energie, die
mich so sehr fasziniert, dass ich immer wieder
die Nachmittage mit ihm verbringe, obwohl ich
ihn eigentlich nicht mag.
Wir machen noch ein paar Computerspiele.
Unter anderem einen gerade neu erschienenen
Ego Shooter, eins von den Games, vor denen
die Erwachsenen immer warnen, weil Kinder
angeblich Massaker begehen und vollkommen
durchdrehen, wenn sie damit zu lange spielen.
Bei uns müssen sie da keine Angst haben, wir
bauen zwar Scheiße, aber den Tod wünschen
wir keinem.
Den Rest der Nacht hängen
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