Breit - Mein Leben als Kiffer
weiß überhaupt nicht warum und werde
tierisch sauer. Wir hatten doch so einen
schönen Tag. Voller Vertrautheit.
«Warum hast du das gemacht? Spinnst du?»
«Jetzt reg dich nicht so auf, war doch nur
Spaß!»
«Du kannst mich doch nicht einfach so ins
Wasser schubsen!»
«Ehrlich, war nicht böse gemeint. Mir war
einfach so danach.»
«Dir war einfach so danach?»
Ich klettere zurück auf den Steg und gehe
wortlos an ihr vorbei nach Hause. Sie hat alles
kaputtgemacht. Die besondere Stimmung ist
vorbei.
An diesem Abend reden wir nicht mehr viel
miteinander, und als wir uns am nächsten Tag
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voneinander verabschieden, bleibt ein schales
Gefühl in mir zurück.
Am Dienstag nach dem verkorksten
Wochenende mit Katrin setze ich mich abends
nochmal hin, um ein paar Reime zu schreiben.
Ich ziehe ernsthaft in Betracht, später einmal
Rapper zu werden, obwohl ich nicht viel von Hip
Hop verstehe und vollkommen unmusikalisch
bin. Ich spiele kein Instrument, geschweige
denn, dass ich Noten lesen kann. Außerdem
fangen Markus und Jan schon an, mich zu den
Deutsch-Rap-Spacken zu zählen, die sie
verachten, weil jeder, der deutschen Rap wie
Fettes Brot oder Fünf Sterne Deluxe hört, für
sie ein Möchtegern ist. «Deutsche Rhymes sind
einfach kacke», heißt es immer nur.
Also notiere ich heimlich ab und zu ein paar
Reime, die mir so durch den Kopf gehen. Heute
Abend schreibe ich meinen ersten richtigen Hip-
Hop-Text. Ich bin echt stolz auf mich. Leider zu
stolz, denn der Text ist keineswegs gut,
höchstens ein Anfang. Aber er tröstet mich über
das komische Verhalten von Katrin hinweg.
«Ihr meint, ich kann nicht rappen
doch dann führ’ ich euch zu meinen heiligen
Stätten
sie liegen nicht in Ketten
nein sie sind frei wie der erste Vogel wenn er
fliegt
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und ich knobel meine Styles nicht aus
nein ich lass sie einfach raus wie sie kommen
und sie treffen ein in riesigen Kolonnen
die Revolution des Shits hat begonnen
denn selbst die Nonnen
die sonst nur sticken
fangen an mit ihren Köpfen zu nicken
und wir kicken’s
raus wie Esperanto über Stuttgarts Hügel
doch meinem Rap bastele ich Flügel
schlechte Rhymes kommen in den Kübel
und dann grübel
ich nicht lang
bis man wieder anfangen kann.»
Zufrieden schlafe ich ein.
Doublekill
Meine drei Mütter finden, dass man als Mann
tanzen können muss. Also schicken sie mich in
die Tanzschule. Anfangs gehe ich etwas
widerwillig hin, gerade auch, weil ich der
Einzige aus unserer Truppe bin und mir ständig
von den Jungs anhören muss, wie peinlich
Tanzen ist. Aber irgendwie bin ich auch ganz
stolz darauf, mal etwas anders zu machen als
die anderen, und mit der Zeit gefallen mir die
Tanznachmittage sogar ganz gut. Vor allem,
wenn wir Walzer tanzen, Walzer kann ich
prima.
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Am Wochenende finden regelmäßig von der
Tanzschule organisierte Partys statt. Die Jungs
haben sich darauf geeinigt, dass selbst die
richtigen Partys der Tanzschulen zu uncool sind,
um hinzugehen. Umso mehr wundert es mich,
dass Markus diesmal mit all seinen berüchtigten
Kollegen auftaucht, von denen ich schon so viel
gehört habe. Allesamt Ausländer, die meisten
älter als wir, bestimmt schon achtzehn oder
neunzehn.
Markus ist wirklich ein Phänomen: Ich kenne
niemanden, der so schnell mit anderen ins
Gespräch kommt wie er. Er hat ein
unglaubliches Gespür dafür, sich immer genau
die Leute zu suchen, von denen er profitieren
kann. Entweder weil sie den Türsteher einer
Disko gut kennen und ihn mit reinschleusen,
obwohl er noch nicht alt genug ist, oder weil sie
Alk für ihn besorgen, den man eigentlich erst
ab achtzehn kriegt.
Als wir mit seinen Kumpel vor der Party in
einer großen Gruppe zur Tankstelle am
Dammtor-Bahnhof gehen, um dort billig Alkohol
zu kaufen, darf ich einem besonders wichtigen
Freund von Markus die Hand schütteln. Ich
fühle mich ziemlich cool dabei. Mein Wunsch
dazuzugehören ist stärker als das Gefühl, dass
das eigentlich nicht die Leute sind, mit denen
ich häufig zu tun haben möchte.
Wieder in der Tanzschule, geht einer von den
Typen einfach so ans Mikro und legt einen
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ziemlich aggressiven, aber genialen Freestyle
hin. Diese Jungs machen einen so extrem
toughen Eindruck, dass wir alle enorm viel
Respekt vor ihnen haben. Ich dachte immer,
das sind solche Typen, die den kleinen
Kartoffeln, wie sie uns Deutsche nennen, die
Handys wegnehmen.
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