Breit - Mein Leben als Kiffer
immer
öfter vor. Erst recht bei einem so besonderen
Anlass wie heute. Meine Großmutter und ich
gehen nämlich ins Theater.
Leider mache ich so etwas viel zu selten,
obwohl ich wirklich gerne ins Theater gehe. Ich
liebe es, wenn man völlig vereinnahmt wird von
einem Stück, von der anderen Welt dort, einer
anderen Zeit. Ich liebe es, dass die
Schauspieler sich so verausgaben, völlig in ihrer
Rolle aufgehen. Manchmal komme ich mir
selbst vor wie ein Schauspieler. Zu Hause
versuche ich, der brave Sohn und Enkel zu sein,
während ich innerlich immer weniger dem Bild
des aufgeschlossenen, klugen und
interessierten Amon entspreche, das ich so
gerne vor mir selbst hochhalte. Dem Bild, das
auch meine Mam und meine Großmutter von
mir haben.
Wenn ich mit ihnen rede, muss ich mich
ziemlich zusammenreißen. Meine Sprache hat
sich durch das Kiffen stark verändert. Die
Grenzen zwischen sich über andere lustig zu
machen und selbst ein Sprachkrüppel zu sein
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sind fließend: «Ey Digger, der Fuchs, den wir
eben klargemacht haben, ist so krass, weißt du,
ich hab noch nie so gechillt und davor so wenig
gebarzt.»
Manchmal denke ich, dass ich mir nichts
dazukiffe, keine neue Welt, keine besonderen
Gedanken oder intensiven Sounds, sondern
dass ich mir etwas wegkiffe: meine wirklichen
Interessen.
Als der Joint bis zum Tabakkissen
runtergebrannt ist, bekomme ich einen
Brechreiz und mache ihn schnell aus. Bisher
war mir noch nie aufgefallen, wie abstoßend
Tabak ohne Gras schmeckt.
Ich gehe weiter zum Schauspielhaus, wo ich
mich mit meiner Großmutter treffe. Wir sehen
das Käthchen von Heilbronn von Kleist. Es ist großartig. Intensiv, inbrünstig, voller Energie.
Nach der Vorstellung erzählt mir meine
Großmutter von Petra, der heroinsüchtigen
Kusine meiner Mutter, und nutzt das, um mich
wieder mal zu ermahnen.
«Amonchen, man liest ja so viel über die
jungen Leute, die Drogen nehmen, und wie die
dann enden. Aber du machst so was nicht,
oder?»
«Natürlich nehme ich keine Drogen,
Großmutter. Ich rauche ja noch nicht mal.»
Ich mag meine Großmutter wirklich sehr,
aber das heißt nicht, dass ich immer ehrlich zu
ihr sein muss. Sie würde das sowieso nicht
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verstehen. Und ich habe keine Lust, mich vor
ihr zu rechtfertigen.
«Und was ist mit der Schule? Deine Mutter
sagt, dass du ständig darüber schimpfst.»
«Ach weißt du, so ungern gehe ich da gar
nicht hin, manchmal macht es wirklich Spaß»,
behaupte ich schnell.
Sie ist tatsächlich beruhigt und lässt mich
den Rest des Weges in Ruhe. Als ich wieder zu
Hause bin, stelle ich mich vor den mannshohen
Spiegelschrank in der Küche und improvisiere,
als sei ich ein Schauspieler, der einen
Shakespeare-Text spricht – nein, schreit:
«Doch niemand, niemand sah es kommen,
als er durch finstere Nacht mit seinesgleichen
herauf in ferne Höhen ritt. Kein Kind, kein Mann
und keine Frau hat es vorausgesehen, dass
dieser Insel sanfter Frieden durch schändlich
Bluttat wurd’ entweiht. In falscher Form und
ohne Namen wurd’ es erdacht und auf diese
Weise niemand gleichgetan. Ein grünes Monster
soll geseh’n sein und Mordikei, der kecke
Schelm ist nicht der Einzige geblieben, auf den
die taube Macht des Affentiers einen solch
starken Zauber bewirkt, sodass er die Bäume
stets für Menschen hielt.»
Eine Stunde lang stehe ich da und rede
ekstatisch und heftig gestikulierend auf mein
Spiegelbild ein. Mir fällt gar nicht auf, wie wirr
und wahnwitzig das ist, was ich sage. Wie einer
dieser jungen und wilden Schauspieler möchte
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ich sein, wie die, die mich eben im Stück so
ungemein stark beeindruckt haben. Das Sich-
Verausgaben zieht mich an. Ich bin bekifft und
betrunken. Und ich will noch mehr kiffen. Weil
ich mir in meiner Drogenschublade noch Reste
erhoffe, bekomme ich schon wieder dieses
Herzrasen. Auf den Gedanken an das Kiffen
reagiert mein Körper immer mit Vorfreude.
Adrenalin schießt durch meine Adern. So muss
es sein, wenn man erfährt, dass man im Lotto
gewonnen hat.
Plötzlich geht die Tür zu meinem Zimmer auf,
meine Mutter kommt rein und sieht mich den
Joint drehen. Ich schaue sie etwas verlegen an.
Ich dachte, sie kommt heute erst ganz spät
nach Hause.
«Amon, das kann doch nicht wahr sein!»,
fängt sie gleich an. «So geht das nicht weiter.
Wie oft haben wir schon darüber geredet. Du
sollst nicht so viel kiffen. Wenn es schon
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