Breit - Mein Leben als Kiffer
sein
muss, auf keinen Fall unter der Woche oder,
noch schlimmer, in der Schule. Das geht
wirklich nicht.»
Bisher ist es mir gut gelungen, meiner Mam
das wahre Ausmaß meines Konsums zu
verheimlichen. Wenn ich mit ihr spreche, reiße
ich mich jedes Mal total zusammen.
Normalerweise können wir auch ganz locker
übers Kiffen reden, was ich ziemlich cool finde.
Denn die Eltern von meinen Freunden würden
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sicherlich ganz anders reagieren, wenn sie
davon wüssten.
Tun sie aber nicht. Wahrscheinlich ahnen sie
etwas, so wie sie vielleicht ahnen, dass die
Jungs oft bei mir sind, statt zur Schule zu
gehen.
Aber irgendwie gelingt Markus, Florian und
Jan das Leben in Tarnung besser. Vielleicht sind
sie geschicktere Lügner. Vielleicht liegt es aber
auch daran, dass sie ein anderes Verhältnis zu
ihren Eltern haben als ich zu meiner Mutter. Für
Eltern ist es so oder so schwer, wirklich die
Übersicht darüber zu behalten, was wir wann
machen und mit wem und wie wir unsere
Freizeit verbringen. Unsere Ausreden, Lügen,
Schwindeleien sind für Außenstehende kaum zu
durchschauen, ein so eingeschworener Kreis
wie der unsere ist so gut wie nicht zu
durchbrechen. Wir decken uns gegenseitig. Sie
können nur Vermutungen anstellen.
«Nein Mam, ich verspreche es, ich kiffe nicht
mehr so viel», antworte ich leicht gereizt. «Das
war heute nur eine Ausnahme, weil es im
Theater so nett war.»
Einerseits verspüre ich ein tiefes Bedürfnis
nach Wahrheit, möchte ihr alles erzählen.
Andererseits habe ich Angst davor, was
passiert, wenn sie alles erfährt. Möglicherweise
würde sie dann doch einmal Konsequenzen
ziehen. Der Spagat zwischen Aufrichtigkeit und
Lüge strengt mich an und bewirkt, dass ich
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mich innerlich mehr und mehr von ihr
abkapsele. Für mich sind diese sich
wiederholenden Gespräche etwas, was ich
durchstehen muss. Danach habe ich dann erst
mal wieder eine Weile Ruhe.
Doch wer bin ich? Wer bin ich? Wer bin ich?
Diese Frage stelle ich mir häufig, denn im
Gegensatz zum schulischen Leerlauf ist das
wirklich von Bedeutung. Weder der europäische
Nachrichtensender, der mir täglich viele Bilder
von Schrecken und Unheil liefert, noch das
Internet, in dem ich meine Gier nach
außergewöhnlichen und mysteriösen Dingen
befriedigen kann, geben mir eine Antwort auf
diese Frage. Zum Lesen bin ich meistens zu
breit oder zu faul. Wenn ich breit bin, kann ich
sowieso nicht gut lernen und auch nicht lesen,
weil ich ständig in der Zeile verrutsche und oft
endlos an einer Stelle hängen bleibe, an der mir
dann automatisch irgendwas anderes einfällt.
Ich hätte gerne eine richtige Weltanschauung.
Momentan beschränkt sie sich auf «Smoke the
weed and fly».
Seitdem ich regelmäßig kiffe, sind mir einige
Dinge sehr viel gleichgültiger geworden. Ich
mache mir keine Sorgen mehr darum, wer nun
mein Freund ist und wer nicht oder was die
anderen für Probleme haben. Solange jemand
da ist, mit dem ich kiffen kann, ist alles in
Ordnung. Die meiste Zeit laufe ich mit
Kopfhörern rum und höre Musik, Hip Hop und
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Oldies. Nach dem Kiffen ist Musik das Schönste,
was es für mich gibt.
Es ist Samstagabend. Alles ist wie immer:
Gekifft wird viel, der Film fängt an:
«Sag ja dazu, auf deiner Couch zu hocken
und dir hirnlähmende Gameshows reinzuziehen
und dich dabei mit scheiß Junkfraß voll zu
stopfen. Sag ja dazu, am Schluss vor dich
hinzuverwesen und dich in einer elenden
Bruchbude voll zu pissen und den missratenen
Egoratten, die du erzeugt hast, damit sie dich
ersetzen, nur noch peinlich zu sein. Sag ja zur
Zukunft, sag ja zum Leben. Aber warum sollte
ich das sagen? Ich habe zum Jasagen nein
gesagt. Und der Grund dafür? Wer braucht
Gründe, wenn er Heroin hat?»
Mark Renton ist die Hauptfigur in
Trainspotting und für eine lange Zeit so etwas wie ein guter Freund von uns, über den man
sich Geschichten erzählt, als würde man ihn
kennen.
Niemand von uns hat vor, jemals etwas
anderes als Gras auszuprobieren. Auf gar
keinen Fall Pillen oder LSD. Über weite Strecken
wirkt die Stimmung des Films dennoch sehr
anziehend auf uns. Ich glaube, es ist diese
Arroganz, die Überheblichkeit der Hauptfiguren,
die uns den Streifen immer wieder sehen lässt.
Wir übertragen dieses Gefühl auf uns. Im Film
sind alle ständig am Rumsitzen und Feiern.
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Auch bei uns steht das im Mittelpunkt. Kiffen ist
unser Ritual, es
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