Breit - Mein Leben als Kiffer
geraten, weniger zu kiffen.
Im Moment mache ich allerdings genau das
Gegenteil. Es ist halb elf. Leider ist meine
Mutter noch wach, und ich werde noch ein oder
zwei Stunden warten müssen, bis ich endlich
meine Köpfe durchziehen kann. Noch nie in
meinem Leben habe ich mich in so kurzer Zeit
so verändert wieder gefunden. In den letzten
Wochen rauche ich nahezu jeden Abend Köpfe
durch meine Bong, das ist nicht nur intensiver
und ergiebiger, sondern geht auch schneller.
Ich sehne mich danach, eine Freundin zu
haben. Ich sehne mich nach Silke.
Endlich kommt kein Licht mehr aus dem
Zimmer meiner Mutter. Sie schläft. Ich lasse
mich aufs Sofa fallen und suche meine
Utensilien zusammen, lecke eine Zigarette an
und brösele den Tabak in meine Mischerschale.
Meine Tage sind vom Rausch geprägt, und
meine Gedanken durch den Zustand des
Dauerbreitseins auf ganz andere Dinge
ausgerichtet. Im Moment erwische ich mich
gerade dabei, wie ich versonnen auf eine
Lichtbrechung in meiner Bong starre. Ich achte
- 187 -
generell mehr auf Formen und Farben und
beobachte manchmal sehr lange einen Baum,
das Wasser oder auch nur ein fliegendes
Staubkorn. Ständig fallen mir mysteriöse
Zufälle auf, eben gerade singt Ferris MC, wie
«fertig» und «aasisch» er ist – als würde er
mich kennen und über mich singen.
Ein kleiner Kamikazepilot ist aus mir
geworden, der Schule, Gesundheit und
Verstand aufs Spiel setzt. «Um etwas zu
gewinnen, muss man erst mal alles verlieren»,
sagt Ferris MC – inzwischen ist das auch zu
meinem Motto geworden. Vielleicht habe ich
deshalb trotz des Kiffens das Gefühl, nur selten
richtig zur Ruhe zu kommen. Wie jetzt: Zwei
Stunden vor dem Internet rumzusitzen zieht
mich eigentlich nur runter, und allein der
Gedanke, morgen um sechs Uhr, zur
Frühstunde, hochzumüssen, macht mich ganz
krank. Die Schule und das Bedürfnis, so viel wie
möglich zu kiffen, erzeugen in meinem Inneren
ein hektisches Wechselleben.
Inzwischen habe ich genügend Gras in die
Schale gebröselt und beginne, damit den Kopf
der Bong zu stopfen. Mein Leben erscheint mir
wieder mal wie eine langsame Endlosschleife.
Ich schleppe mich zur Schule und klappere
Familie und Freundeskreis ab, und nebenbei
kiffe ich mir die Birne zu und höre Hip Hop.
Alles wirkt beliebig, wiederhol- und
austauschbar. Ich nehme die Welt nur noch
- 188 -
durch die Maske der Müdigkeit wahr und
schiebe mich eher durchs Leben, als durch es
zu gehen.
Doch darüber möchte ich jetzt nicht
nachdenken. Ich presse den Mund gegen die
Röhre, drücke das Kickloch fest zu und halte ein
Feuerzeug an den Kopf: heftig saugen. Der
Rauch wird durch die blauen Schläuche in die
Kammern gezogen und füllt nun langsam die
ganze Bong. Ich öffne das Kickloch, der Rauch
schießt in meine Lunge, und wieder einmal
verteilt sich für einige Sekunden das
großartigste Gefühl, das schönste und
intensivste Gefühl, das man sich vorstellen
kann, im ganzen Körper.
Nach zwei weiteren Köpfen lasse ich mich ins
Bett fallen und schlafe sofort ein.
Die Frühstunde am nächsten Morgen nehme ich
nur halb wahr. Die Tatsache, dass wir in einer
Freistunde im Park einen großen Joint rauchen,
lässt mich den Schultag allerdings etwas rosiger
sehen. Meist bin ich zu meinen Lehrern sehr
freundlich. Mir ist klar, alle wissen, dass ich
kiffe, sie können sehen, wie dunkel meine
Augenringe und wie rot meine Augäpfel sind.
Ab und zu kommen ein paar spitze
Bemerkungen à la «wir wissen, wo ihr in der
Pause immer hingeht». Aber nie spricht uns
jemand direkt darauf an.
- 189 -
Was sollten sie auch zu uns sagen? Kifft nicht
so viel. Das ist nicht gut für euch. Wir sagen es
euren Eltern.
Wir hätten sie doch nur angegrinst und
behauptet: «Wir? Kiffen? Da täuschen Sie sich
aber. Wir doch nicht!»
Nachweisen können sie uns nichts. Und wir
sind uns sicher, dass sie ohne irgendwelche
Beweise nichts unternehmen würden.
Vor kurzem haben wir zwar einen neuen
Schulleiter bekommen, der gegen
Drogenkonsum in der Schule «härter
durchgreifen» will, wie man munkelt. Man
erzählt sich, dass im Lehrerzimmer seit
neuestem eine Liste mit den Namen der Schüler
hängt, die kiffen. Doch als uns der neue
Schulleiter neulich in der Pause beinahe
erwischt hätte, ich konnte gerade noch die
Bong in meinem Rucksack verschwinden lassen,
haben wir auf seine Frage nach dem Kiffen
einfach nur geantwortet: «Wir? Wir
Weitere Kostenlose Bücher