Breit - Mein Leben als Kiffer
zurück,
wandere ziellos weiter, bis ich an einer
Bushaltestelle vorbeikomme. Auf der Bank
daneben liegt ein gelbes Kärtchen. Die
knallgelbe Pappkarte ist in der Ecke rechts oben
mit einem Stück funkelnder Folie beklebt, die
mich an eine Kreditkarte erinnert. Sie sieht
nicht wie eine von diesen serienmäßig
hergestellten Karten aus, denn sie ist per Hand
beschrieben.
«Jesus ist kommend» steht darauf, darunter
eine Psalmangabe. Ich erschrecke. Wieder ein
Zeichen, denn gerade heute trage ich meine
Lieblingsmütze, auf die «Jesus wärmt» gestickt
ist. Das Ding erinnert mich an eine
Fernsehserie, in welcher der Held eine Karte
besitzt, mit deren Hilfe er durch die Zeit reisen
und die ein menschliches Hologramm
generieren kann, das ihm in brenzligen
Situationen zur Seite steht. Es ist tatsächlich
so, wie Samy Deluxe in Zapzap sagt. Der ganze
Fernsehkram aus meiner Vergangenheit hat
mich eingeholt. Ich drücke immer wieder auf
die silberne Folie und bin super enttäuscht,
dass ich keineswegs in eine andere Zeit
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versetzt werde oder die Zeit anhält, noch ein
Hologramm erscheint.
Ich stecke die Karte in meine Tasche und
gucke mich hektisch nach allen Seiten um.
Dieses Ding muss extra jemand für mich dort
hinterlegt haben, und ich wurde durch
Gedankenkraft dazu gebracht, sie mir zu holen.
Irgendjemand muss mich demnach beobachten.
Nicht weit von mir entfernt befindet sich eine
Autobahnausfahrt. Überall sind riesige LKWs
unterwegs, und ich komme darum auf die Idee,
dass hier eventuell irgendwo ein Eminem-
Konzert stattfinden würde. Bei allem, was ich
um mich herum wahrnehme, versuche ich, eine
Verbindung zu meinem eigenen Dasein
herzustellen.
Ich sehe die Gesichter der Lastwagenfahrer,
wie sie im Vorbeirauschen kurz zu mir
herüberblicken. Verschlafene, bleiche
kurzhaarige Männer, die für mich aussehen, als
wären sie die verschworenen Lieferanten von
geheimen UFO-Bauteilen in Akte X . All diese
Männer würden daran arbeiten, einen
gigantischen Konzertpark aufzubauen, wo halb
Hamburg anwesend sein würde. Genau wie
man es aus dem Fernsehen kennt, wenn
Konzerte von Michael Jackson oder Herbert
Grönemeyer gezeigt werden, doch anstatt
Feuerzeuge und Wunderkerzen in die Luft zu
halten und zu singen, würden die Zuschauer
üble Gesichter ziehen, die Frauen zum
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Zurschaustellen ihrer Titten bewegen und
pogen.
Die Pappkarte mit der Aufschrift «Jesus ist
kommend» und einer Psalmangabe in der
linken sowie einen feuerroten Glasdidgeridoo in
der rechten Hand, stehe ich an einer
Bushaltestelle und weiß nicht, ob ich mich
großartig fühlen soll, weil mich jemand zu
erwarten scheint, oder ob die Angst größer ist,
weil mich jemand beobachtet.
In einem Anflug von Klarheit schaffe ich es
doch wieder irgendwie nach Hause. Aber auch
dort beruhigen sich meine Gedanken nicht.
Meine Phantasie denkt sich in einen immer
mysteriöseren Film hinein. Was ist noch
Realität? Die Figuren aus Akte X , Fear and Loathing , Matrix und anderen Filmen haben sich verselbstständigt. Auch die Wörter der Rapper
führen ein Eigenleben in meinem Hirn. Überall
Agenten und Außerirdische. Dieses Gefühl,
diese Gedanken werden unerträglich. Ich muss
kiffen. Damit du dich beruhigst, wiederhole ich
innerlich gebetsmühlenartig. Mehr kiffen, mehr
Gedanken, mehr Gedanken, noch mehr kiffen.
Dann ist alles Gras weg. Ich suche mein ganzes
Zimmer ab. Alles weg. In nur wenigen Stunden
alles weg, was sonst zwei Wochen lang für vier
gereicht hätte.
Ich habe panische Angst davor einzuschlafen,
weil ich befürchte, als Hitler wiedergeboren zu
werden. Ich liege tausend Meter unter der Erde
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in einem chinesischen Felsgrab und sinke
immer tiefer. Ich bin von unsichtbaren Wesen
umgeben. Alle Menschen um mich herum sind
Hologramme. Wenn ich diese Suppe esse, ist
das ein Zeichen an die Außerirdischen, dass ich
gegessen werden will. Ich bin mitten im
Weltkrieg, vor dem Fenster höre ich schon die
Truppenaufmärsche. Alle können meine
Gedanken lesen. Mein Geist entdeckt eine neue,
eigene Welt hinter dem Spiegel. Wenn ich durch
ihn hindurchgehe, betrete ich ein neues
Universum. Ich darf mit niemandem mehr
reden, denn meine Gedankenwellen können
anderen schaden. Deshalb muss ich allein
bleiben.
Nur noch rotes Licht um mich herum.
Drei Tage liege ich auf dem Boden unserer
Wohnung. Esse nicht. Trinke nicht. Rede nicht.
Durch meine
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