Breit - Mein Leben als Kiffer
erwidert.
Telepathisch arrangiere ich an der Elbe ein
Treffen mit ihr. Ich breche auf, stehe am Fluss.
Warte lange, aber sie kommt nicht. Schließlich
rufe ich sie an und frage sie, wo sie bleibt. Silke
ist ziemlich irritiert, geradezu befremdet, als ich
sie in gequältem Tonfall frage, warum sie nicht
kommt. Nach kurzem Hin und Her legt sie auf.
Sie will jetzt schlafen, morgen muss sie früh
raus und arbeiten. Ich soll nach Hause gehen.
Doch ich kann nicht. In einem wilden Anflug
von Liebeskummer breche ich auf. Ich muss zu
ihr. Und bin völlig unbeeindruckt davon, dass
ich jede Erinnerung an die Hamburger
Geographie verloren habe: Ich mache mich auf,
Richtung Övelgönne, gen Süden zum Strand,
den ich mir allerdings im Norden Hamburgs
vorstelle. Von dort, da bin ich mir sicher, werde
ich durch den Wald nach Schleswig-Holstein zu
Silke gelangen. Eine kurzen Moment lang ahne
ich, dass das unmöglich ist. Aber es ist mir
egal. Ich folge einfach nur einem stillen Trieb,
ohne länger als eine Sekunde darüber
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nachzudenken, was ich überhaupt erreichen,
was ich zu Silke sagen will, wenn ich vor ihr
stehe.
Nicht, dass ich den Verstand verloren habe.
Mir fehlt nur das Nachdenken über meine
Absicht, das Erkennen der Kontraproduktivität
meiner zum Scheitern verurteilten Liebesfahrt.
Um zur Elbe und von dort durch den Wald zu
meiner Geliebten zu gelangen, gehe ich an der
Alster entlang. Ich habe selten in meinem
Leben die Natur um mich herum als etwas so
Fremdartiges, Sonderbares und
Geheimnisvolles empfunden. Im Halbdunkeln
drehe ich mich um und sehe, wie aus dem Gras
am Alsterufer zwei handtellergroße grüne Tiere
hervorkriechen und mich mit ihren vier
Tentakeln anvisieren. Es sind außerirdische
Wesen, die mich entführen wollen. Ich versuche
mich zu konzentrieren, ihre Erscheinung zu
verdrängen. Nach einem Moment verschwinden
sie tatsächlich. Später sollten sie allerdings
noch einmal wiederkommen.
Ich bin in letzter Zeit oft unruhig gewesen,
habe beängstigende Dinge gesehen und
gefühlt, doch war ich mir dabei immer mehr
oder weniger bewusst, dass dies nur Illusionen
meines Geistes sind. Bis jetzt. Nun werden sie
immer mehr Teil meiner Realität.
Die Menschen an der Alster scheinen nur
meinetwegen dort zu sein, um mich zu
begleiten und zu beobachten. Überall sehe ich
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Botschaften für mich, Hinweise. Diese
Vorstellung verfestigt sich in meinem Kopf als
Folge von Indizien, die ich mir aus meiner
Umgebung zusammensuche. An einem Baum
sehe ich eine Wohnungsanzeige mit der
Überschrift «PRIVAT». Es geht um ein riesiges
Penthouse, das zu vermieten ist.
Blitzschnell ziehe ich die Verbindung zu dem
Rapper Spax, der ein Album mit dem Namen
Privat herausgebracht hat. Ich reiße die ganze Anzeige ab und bin sicher, dass es sich dabei
um eine persönliche Nachricht für mich handelt,
die darauf hindeutet, dass ich in nächster Zeit
diese Penthousewohnung, als Anerkennung für
meine überragenden Raptexte, Intelligenz,
Besonderheit, ach, weiß der Teufel wegen was,
angeboten bekomme.
Ich gehe weiter Richtung Dammtor-Bahnhof,
am amerikanischen Konsulat vorbei. Die
Polizisten in ihren schwarzen Lederuniformen
mit den Maschinenpistolen über den Schultern
sehen für mich aus wie gleichgeschaltete
Sicherheitsroboter. Was soll ich eigentlich mal
meinen Kindern erzählen, wenn wir an der
Alster spazieren gehen und sie mich fragen,
was denn die Männer da tun und was man mit
den Dingern macht, die sie da umhängen
haben?
Noch immer mit dem Zettel in der Hand
stehe ich am Bahnhof und schaue auf das
Radisson-Hochhaus. Ich gucke mir den
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Grundriss der Penthousewohnung auf dem
Zettel an. Jetzt wird mir alles klar. Ich muss in
den obersten Stock dieses Hochhauses, um dort
irgendetwas zu erledigen, eine Mission zu
erfüllen. Es muss was mit dieser Wohnung zu
tun haben.
Doch kaum gedacht, verschwindet diese Idee
auch schon wieder aus meinem Kopf, und ich
lasse mich in die riesige Bahnhofshalle treiben.
Grelles Licht umgibt mich, mein Blick fällt auf
die Waren in den geschlossenen Geschäften.
Während ich mir die Auslagen angucke,
verfestigt sich immer mehr der Gedanke, dass
das alles nicht real ist. Das soll meine Welt
sein, in der wir leben und sterben und
Zeitschriften kaufen? Ich zweifle immer mehr
an der Existenz von Millionen von ärmlichen
Arbeitern, die, ganz anders als ich, schwer für
das Nötigste
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