Brenda Joyce
Flurs.
MITTWOCH,
12. FEBRUAR 1902 – 10 UHR
Bartolla saß in ihrem hauchdünnen Morgenmantel – eine Kreation aus
pastellgrünem Chiffon und handgearbeiteter, elfenbeinfarbener Spitze – mit dem
Federhalter in der Hand am Schreibtisch und dachte an den vergangenen Abend.
Die Erinnerungen an den wundervollen Ball tanzten durch ihre Gedanken, und
immer wieder sah sie sich in ihrem goldfarbenen Satin- und Spitzenkleid im
Mittelpunkt des Interesses stehen und war umgeben von Männern, die sie mit
ihrer Aufmerksamkeit überhäuften.
Dann dachte sie an Evan Cahill,
und plötzlich wurde ihr ganz heiß. Ob er wohl auch den Mut haben würde, ihr
Liebhaber zu werden, wenn seine Verlobung mit ihrer Cousine nicht gelöst werden
konnte? Aber diese Verlobung musste einfach beendet werden, denn Sarah und er
passten doch überhaupt nicht zueinander, während Evan und sie selbst ein so wundervolles
Paar abgaben.
Früher oder später würde sie
ohnehin wieder heiraten müssen. Niemand wusste, dass ihr verachtenswerter
verstorbener Ehemann sein ganzes Vermögen in Eisenbahnen, Elektrizität und
Minen festgelegt und es seinen Kindern aus erster Ehe vermacht hatte. Bartolla
hatte acht lange Jahre mit dem alten Mistkerl verbracht und dafür am Ende nur
ein paar lächerliche hunderttausend Dollar erhalten. Sie wusste, dass man in Italien hinter ihrem Rücken über sie lachte, da
allgemein bekannt war, was ihr der Graf angetan hatte. Doch hier in New York
hielten sie alle für eine reiche Witwe, und es war der perfekte Ort, um sich
einen reichen Ehemann zu angeln.
Evan war zwar nicht ganz so
vermögend, wie sie es sich vorgestellt hatte, aber nach dem Tod seines Vaters
würde er es sein. Und es würde sich lohnen, darauf zu warten, da er jung und
attraktiv war und gewiss ganz wundervoll im Bett.
Bei dem Gedanken daran, dass
Evan ihr den ganzen Abend nicht von der Seite gewichen war, seufzte Bartolla
zufrieden. Dem Getuschel nach zu urteilen war es sogar einigen Gästen
aufgefallen, wie sehr sie sich zueinander hingezogen fühlten.
Plötzlich klopfte es leise an
der Tür.
Bartolla drehte sich um und zog
dabei den Morgenmantel fester um sich. »Herein!«, rief sie.
Eine strahlende Sarah betrat
das Zimmer. »War das nicht ein wundervoller Abend?«, rief sie und sah dabei so
glücklich aus, dass man sie beinahe als hübsch bezeichnen konnte.
Bartolla lachte. »Ja, das war
es, und ich weiß auch, warum du so glücklich bist.«
»Hart hat
vorgeschlagen, dass wir uns heute Nachmittag treffen, um das Porträt zu
besprechen und uns auf einen Preis zu einigen!«
So aufgekratzt hatte Bartolla
ihre Cousine bisher nur erlebt, wenn sie in ihrem Atelier wie eine Besessene
malte.
»Ist das nicht unglaublich?«,
plapperte Sarah weiter. »Eines meiner Bilder wird in seinem Haus hängen, in
seiner weltberühmten Sammlung!«
Bartolla
lachte, denn sie hatte Sarah wirklich sehr gern und freute sich für sie. »Aber es könnte ein wenig schwierig
werden, Francesca dazu zu bringen, dieser Angelegenheit zuzustimmen. Es ist
schon recht amüsant, dass Hart ihr nachstellt, während sie sich lieber mit
Bragg abgibt, der nicht nur verheiratet, sondern auch noch sein Bruder ist!«
Auf Sarahs Gesicht spiegelte
sich Ernüchterung. »Du glaubst, Hart stelle Francesca nach? 0 nein, Bartolla,
da irrst du dich. Die beiden sind nur Freunde.«
»Hart kennt
keine Freundschaft – ganz besonders nicht, wenn es um Frauen geht«, erwiderte
Bartolla und machte eine wegwerfende Handbewegung. Sie war von ihren Worten
überzeugt und wusste, dass sie Recht hatte. »Es sei denn, er beabsichtigt
Bragg damit zu ärgern, schließlich verachtet er seinen Bruder.« Sie wusste,
dass Hart ihm nur zu gern einen Strich durch seine Herzensangelegenheiten
machen würde.
»Ich weiß,
dass Mr Hart in dem Ruf steht, unhöflich, unfreundlich und nur auf seinen
eigenen Vorteil bedacht zu sein, und natürlich weiß jeder, dass er ein furchtbarer
Draufgänger ist, aber er würde seinem Bruder niemals die Frau wegnehmen, die er
liebt, Bartolla. Offensichtlich mag er Francesca, aber das ist auch schon
alles.«
»Offensichtlich würde er sie
hebend gern in sein Bett zerren«, gab Bartolla trocken zurück.
Sarah
blickte sie schockiert an. »Da bin ich anderer Ansicht!« Bartolla zuckte die
Schultern. Wie naiv ihre Cousine doch war! Sie verkniff sich die Bemerkung,
dass Harts Interesse und seine so genannte Zuneigung sehr schnell nachlassen
würden, sobald er bekommen hatte, was er wollte.
Weitere Kostenlose Bücher