Brenda Joyce
sie
sofort erkennen, welch tiefe Gefühle sie füreinander hegten.
»Ja, das
wäre wohl besser.«
»Ich werde
morgen wieder vorbeischauen«, sagte er.
Kapitel
18
DIENSTAG,
11. FEBRUAR 1902 KURZ VOR MITTERNACHT
Als Evan Maggies Zimmer betrat, trat Dr. Finney auf ihn zu,
der der Hausarzt der Cahills war, seit sie nach New York gezogen waren. Finney
blieb mit seiner schwarzen Arzttasche in der Hand stehen, um Evan zu begrüßen,
doch der nahm gar nicht richtig wahr, was er zu ihm sagte. Maggie war niedergestochen
worden! Evan würdigte den Arzt keines Blickes, sondern hatte nur Augen für die
junge Frau, die gegen einen hohen Kissenstapel gelehnt im Bett lag und sehr
blass aussah. Wie zerbrechlich sie wirkte, und dennoch war sie eine sehr starke
Frau, denn sie zog ihre vier prächtigen Kinder ganz allein groß. Ihre drei
Jüngsten saßen am Fußende ihres Bettes, und Joel stand in seinem langen
Nachthemd an ihrer Seite.
Als Maggie
Evan erblickte, versuchte sie sich hastig aufzusetzen und gleichzeitig die
Bettdecke bis zu ihrem Kinn in die Höhe zu ziehen. Dabei sah sie ihn mit großen
Augen an.
»Die Wunde
ist nicht tief, so dass keine lebenswichtigen Organe verletzt wurden«, sagte
Finney. Er legte eine Hand auf Evans Arm. »Sie ist eine tapfere, junge Frau und
kräftig dazu, und ich vermute, dass sie in ein oder zwei Tagen schon wieder
aufstehen kann.« Er lächelte, nickte Maggie noch einmal kurz zu und verließ
dann das Zimmer.
Evans
Besorgnis wollte trotz Finneys aufmunternder Worte nicht weichen. »Mrs Kennedy,
entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte er von der Türschwelle aus. »Ich
wollte mich nur einmal erkundigen, wie es Ihnen geht.«
»Gut«, erwiderte sie und wich
seinem Blick aus. »Vielen Dank der Nachfrage, Mr Cahill.«
Ihre Worte konnten Evan kaum
erleichtern. »Was in Gottes Namen ist denn nur geschehen?«, fragte er bestürzt.
»Darf ich vielleicht einen Moment hereinkommen?«
Sie warf
ihm einen kurzen Blick zu. »Es ist schon spät«, sagte sie, lind trotz ihres
Zustandes war ihre Stimme fest. Sie hatte die Worte zwar höflich, aber
eindeutig ablehnend gesprochen.
Er spürte, wie er errötete.
Aber sie musste doch wissen, dass er nicht im Begriff war, ihr Avancen zu
machen, weder jetzt noch irgendwann in der Zukunft! »Ich weiß, dass es spät
ist. Aber ... ich mache mir Sorgen.«
»Vielen
Dank.« Sie griff nach Joels Hand und hielt sie fest. Evan bemerkte, dass sie
zitterte. Sie war nicht halb so gelassen, wie sie zu sein vorgab, und er
bewunderte sie über alle Maßen. Ihr Mut angesichts der Widrigkeiten ihres
Lebens war erstaunlich – wie schaffte sie es nur, ohne Ehemann, mit vier
kleinen Kindern Tag für Tag den Alltag zu meistern?
»Darf ich
wenigstens die Kinder zu Bett bringen?«, fragte er. Die Kleinen sahen ihre
Mutter mit großen Augen an, bis auf die vierjährige Lizzie, die sich krampfhaft
bemühte, ihre Augen offen zu halten, darin aber gründlich versagte. Sie lehnte
sich gegen Paddy, der mit seinem flammendroten Haar und den strahlenden, blauen
Augen der Einzige von der Kasselbande war, der Maggie ähnlich sah.
»Das wäre
eine Zumutung«, sagte Maggie leise.
»Aber
keinesfalls!« Evan brachte ein Lächeln zustande, denn er wusste, dass er sich
nicht den Anschein geben durfte, bekümmert oder besorgt zu sein. Mit großen
Schritten durchquerte er das Zimmer und hob Lizzie auf den Arm. Die Kleine
seufzte und kuschelte sich an seine Brust. »Paddy, Matthew, eurer Mutter geht
es gut«, sagte er. »Aber sie muss jetzt ein wenig schlafen, damit sie schon
bald wieder ganz die Alte ist. Also los, ab ins Bett mit euch! Das gilt auch
für dich, Joel.«
Joel schien
seine Mutter nur ungern allein lassen zu wollen und blickte sie fragend an.
»Es geht mir wirklich gut«,
sagte sie leise zu ihrem ältesten Sohn. »Und du bist mein großer Held.«
Ihre Worte
vermochten kein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. Er wusste ganz
offensichtlich, in welcher Gefahr seine Mutter geschwebt hatte. »Wenn einer
hier 'n Held ist, dann Miss Cahill. Ich kann hier auf dem Boden schlafen, wenn
du willst.«
Bevor
Maggie überhaupt die Gelegenheit hatte zu antworten, sagte Evan: »Du bist ein
tapferer junger Mann und es ist sehr lobenswert, dass du deine Mutter
beschützen willst, Joel. Aber unten werden zwei Polizeibeamte Wache halten, und
ich bin in meinem Haus direkt nebenan.« In diesem Moment kam ihm der Gedanke,
dass er – auch wenn die Gefahr offenbar gebannt war – die Nacht in
Weitere Kostenlose Bücher