Brenda Joyce
»Darf ich dir einen Rat
geben?«, fragte sie.
Sarah
nickte eifrig.
»Meine
Liebe, entweder überredest du Francesca, für dich Modell zu sitzen, oder aber
du verlierst den Auftrag und verbaust dir damit den Zutritt in deine geliebte
Kunstwelt.«
Sarah erhob
sich. »Ich weiß. Ich werde Francesca überzeugen, für das Porträt Modell zu
sitzen, schließlich ist ja nichts Schlimmes dabei! Sie ist eine wunderschöne
Frau mit einem Mut und einem Elan, die ihresgleichen suchen, gepaart mit einer
Herzensgüte, wie man sie heute nur noch selten findet. Und all das hat Hart
ganz offensichtlich erkannt. Dieses Porträt wird mein bisher bestes Werk
werden. Wie könnte sie da etwas einzuwenden haben? Ich werde ihr noch heute
einen Besuch abstatten und wollte dich fragen, ob du Lust hast, mich zu
begleiten.«
Obgleich
Bartolla Francesca wirklich mochte, hatte das dunkelrote Kleid, das diese auf
dem Ball getragen hatte, sie für Bartollas Geschmack in eine viel zu sinnliche
und schöne Frau verwandelt. Die Gräfin hatte für den Moment genug von
Francesca und war zu dem Entschluss gekommen, sie darin zu bestärken, lieber
ihrem kriminalistischen Spürsinn und ihren Neigungen als Blaustrumpf zu
folgen. »Ich würde mich heute lieber in meinem Zimmer aufhalten und mich
ausruhen, da ich noch etwas müde bin vom gestrigen Abend«, erwiderte sie
deshalb.
Sarah war die Enttäuschung
anzumerken, doch dann hellte sich ihr Gesicht rasch wieder auf. »Wahrscheinlich
ist es ohnehin besser, wenn ich allein mit ihr rede.«
»Ja, da hast du Recht.«
Bartolla dachte an die Dreiecksbeziehung, die soeben im Entstehen begriffen
war, und tätschelte Sarahs Hand. »Das dürfte ein interessanter Winter werden«,
sagte sie grinsend.
»Ja, das wird es bestimmt«,
antwortete Sarah. »Willst du mir beim Frühstück Gesellschaft leisten? Oh, wie
ich sehe, bist du gerade damit beschäftigt, einen Brief zu schreiben.«
»Ich glaube, ich werde mir
einen Tee aufs Zimmer bringen lassen«, sagte Bartolla.
»Na schön.« Sarah küsste ihre
Cousine auf die Wange und verließ den Raum.
Bartolla nahm ein eng
beschriebenes Blatt Papier vom Schreibtisch und las die Zeilen, die sie gleich
nach dem Aufstehen verfasst hatte, noch einmal durch:
Meine
liebste Leigh Anne,
wie
ich höre, hältst du dich derzeit in Boston auf, da dein Vater erkrankt ist. Ich
darf dir versichern, dass meine Gedanken bei dir und deiner Familie weilen und
ich täglich für sein Wohl bete.
Ich
befinde mich momentan in New York und amüsiere mich prächtig. Gestern Abend hat
meine Cousine mir zu Ehren einen Ball gegeben, und wir haben bis zum Morgengrauen
getanzt. Ich habe die Bekanntschaft deines Mannes gemacht und verstehe nun,
warum du dich anfangs zu ihm hingezogen fühltest. In manchen Kreisen wird er
bereits als der Mann gefeiert, der imstande ist, den für seine Korruption so
berüchtigten Polizeiapparat zu reformieren. Er ist ganz offenbar ein starker,
intelligenter und entschlossener Mann. Aber du hast nie sein interessantes
Aussehen erwähnt! Es heißt, er sei ein Halbblut oder etwas in der Art. Er hat
so mancher Frau ganz schön den Kopf verdreht, aber einer ganz besonders.
Francesca
Cahill stammt aus einer der reichsten Familien der Stadt. Sie ist
ausgesprochen schön, und außerdem ist sie jung und unverheiratet und viel
intelligenter als du oder ich. In der einen Woche, in der ich nun bei meinen
Verwandten weile, waren die beiden unzertrennlich. Gestern Abend traf ich sie
in der Bibliothek in eine private Unterhaltung vertieft, aber ich bin mir
sicher, dass es dabei lediglich um irgendwelche Polizeiangelegenheiten ging.
Sie ist Hobby-Kriminalistin und hat dabei geholfen, den Randall-Mord aufzuklären,
über den du bestimmt gelesen hast, da hier in allen Zeitungen darüber berichtet
wurde.
Mir
schwirrt der Kopf von all den Festen und Abendgesellschaften, den Bällen und
Musicals. Es ist ein schneereicher Winter. Gestern Nacht sind zehn Zentimeter
gefallen! Aber das hält diese vergnügungssüchtigen New Yorker nicht vom Feiern
ab. Es würde dir hier gewiss gefallen, und wir könnten viel Spaß zusammen haben.
Ich werde meine Tante fragen, ob du bei uns wohnen darfst. Lass mich wissen,
ob und wann du kommen kannst.
Mit herzlichen Grüßen,
Bartolla Benevente
Bartolla lächelte. Sie war mit ihrem Brief sehr zufrieden. Aber
dann kam ihr ein Gedanke: Die Post war viel zu langsam. Sie würde den Brief
umgehend von einem Boten überbringen lassen.
Francesca klopfte
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