Brenda Joyce
gekommen.
Connie
hatte Neil nie danach gefragt, ob er seine erste Frau geliebt hatte oder nicht.
Eine solche Frage wäre unschicklich gewesen, ein Eingriff in Neils
Privatsphäre. Aber dennoch grübelte sie oft darüber nach.
»Fühlst du dich nicht wohl?«,
fragte Neil jetzt. »Du bist so blass.«
Sie zwang
sich zu einem Lächeln und entzog sich seinem Griff, denn seine Berührung löste
zwar eine freudige Erregung in ihr aus, ließ sie aber zugleich auch ängstlich
erschauern.
»Nein, es
geht mir gut. Wie war dein Tag?« Connie schritt an ihrem Mann vorbei und reichte
dem Dienstboten ihren Mantel und ihren Hut. Während sie so mit dem Rücken zu
Neil dastand, fragte sie sich, ob er wohl von ihrer Verabredung mit Calder Hart
wusste.
»Gut«,
erwiderte Neil. »Unsere Aktien von Midland Rails steigen weiter, da sie sich
gerade Basalt, einen wichtigen Kleinbahnhof, einverleibt haben. Und Fontana
Ironworks schießt förmlich durch die Decke. Heute habe ich dem Treuhandvermögen
der Kinder einiges hinzufügen können.«
Connie
wandte sich nicht zu ihm um. »Das freut mich«, sagte sie ein wenig atemlos.
Dann warf sie einen Blick auf die beiden weit geöffneten Flügeltüren aus
Mahagoni, die von der Eingangshalle aus in den großen, formellen Salon führten.
Der Raum war überwiegend in verschiedenen Goldtönen mit smaragdgrünen Akzenten
gehalten. Auf einem ebenholzfarben gebeizten Tisch stand eine bronzene Uhr,
und Connie sah, dass es bereits beinahe fünf Uhr war. »Ich muss mich für die
Feierlichkeit im Waldorf fertig machen. Ich glaube, wir sollen um sieben Uhr
dort sein.«
Neil
antwortete nicht. Connie hätte ihm gern einen Blick zugeworfen, um
festzustellen, wie seine Laune war, doch sie wagte es nicht. Sie musste daran
denken, dass sie Francesca gesagt hatte, es sei besser, die Vergangenheit ruhen
zu lassen und dass nur noch die Gegenwart und die Zukunft zählten. Aber es fiel
Connie schwer, nicht mehr an die Vergangenheit zu denken – sie tat es jedes
Mal, wenn Neil in ihrer Nähe war. Er hatte ihr versprochen, niemals wieder vom
Pfad der Tugend abzuweichen. In Connies Augen hatte er nur deshalb eine Affäre
mit Eliza begonnen, weil er glaubte, dass sie selbst jenen Teil ihrer Ehe, bei
dem es um ihre körperlichen Bedürfnisse ging, nicht genießen konnte. Es
erschien ihr logisch, dass er zu einer anderen Frau gegangen war, weil Connie
ihn enttäuscht und in ihrer Ehe versagt hatte. Dabei war es natürlich nicht
ihre Absicht gewesen, aber sie hatte nun einmal nicht die Male gezählt, bei
denen sie das Bett mit Neil geteilt hatte, so wie er es ganz offensichtlich
getan hatte.
Jetzt
eilte sie viel zu schnell durch die Halle. Als sie seine Schritte
hinter sich vernahm, drehte sich um und blickte ihn erstaunt an.
Ein Lächeln
umspielte seine Lippen, das aber nicht seine Augen erreichte. »Du hast noch
über zwei Stunden Zeit. Ich weiß, dass du nicht so lange benötigst. Warum
setzen wir uns nicht in den Salon und trinken ein Gläschen Sherry?« Er
betrachtete sie mit einem forschenden Blick.
Sie
befeuchtete ihre Lippen. Beinahe hätte sie seinem Wunsch nachgegeben, aber
natürlich gehörte es sich nicht, vor einer Einladung etwas zu trinken, denn
dann lief man Gefahr, einen Schwips zu bekommen, bevor der Abend richtig
begonnen hatte. »Ich habe Kopfschmerzen und möchte mich noch eine halbe Stunde
hinlegen. Außerdem muss ich nach den Mädchen sehen.«
»Den
Mädchen geht es gut. Charlotte ist in der Küche und veranstaltet eine
Schweinerei mit ihrem Abendessen. Überall auf dem Tisch liegen Erbsen und
Pudding herum. Und Lucy schläft tief und fest.« Neils Blick wich nicht von
Connies Gesicht.
»Ich ...«,
hob sie an und stockte.
»Lass uns ein Glas Sherry
trinken«, sagte er, dieses Mal bestimmter, und sie begriff, dass es sich um
einen Befehl des Ehemanns an die Ehefrau handelte.
Connie
hatte ihrem Mann fast noch nie etwas abgeschlagen. Vor ihrem geistigen Auge sah
sie ihn plötzlich wieder in den Armen einer anderen Frau, und mit diesem Bild
kam wieder der Gedanke, dass es allein ihre Schuld war. Eine gute Ehefrau
musste sich um die Bedürfnisse ihres Mannes kümmern – um all seine Bedürfnisse
–, um damit jede Möglichkeit von Untreue, Enttäuschung und Kummer zu umgehen.
»Ich habe
Kopfschmerzen«, flüsterte sie, was allerdings eine Lüge war. Dabei erkannte sie
sich selbst nicht mehr, denn es lag gar nicht in ihrer Absicht zu lügen oder
Neil zu meiden. Enttäuschung spiegelte sich auf
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