Brenda Joyce
Connie nicht ihren Mann verlassen, wenn auch
nur für zwei Nächte? Und hatte der sie nicht betrogen und dadurch dazu
veranlasst, mit ihren beiden Töchtern zu einer Freundin zu flüchten? »Hattest
du schon die Gelegenheit, mit Neil zu reden?«, fragte Francesca schließlich
vorsichtig.
»Aber wir
reden doch jeden Tag miteinander!«, rief Connie viel zu laut und lächelte
erneut. »Gestern Abend erst haben wir über Reinholds neue Oper und die
gegenwärtige Finanzsituation der Stadt gesprochen. Es ist alles wunderbar,
Francesca, ganz wunderbar.« Sie nannte ihre Schwester sonst nie Francesca,
sondern immer nur Fran.
Francesca
musterte sie besorgt, aber Connie wandte sich rasch ab. Wenn Connie ihre
Gefühle doch nur herauslassen würde!, dachte Francesca. Sie konnte sich gut
vorstellen, wie sie selbst sich fühlen würde, wenn Neil ihr Mann wäre und sie herausgefunden
hätte, dass er eine Geliebte hat. Neil Montrose besaß nicht nur einen
Adelstitel, sondern war zudem ein gut aussehender, stolzer und intelligenter
Mann, der seine Kinder abgöttisch liebte und seine Frau anbetete – zumindest
war es bis kurze Zeit zuvor noch so gewesen. Als Francesca noch jünger gewesen
war, hatte sie sich oft gefragt, wie es wohl wäre, die ältere
Schwester zu sein und mit einem Mann wie Neil zusammenzuleben. Wahrscheinlich
hätte sie ihn aus tiefstem Herzen gehasst, wenn sie die schreckliche
Wahrheit erfahren hätte.
Francesca
hatte keine Ahnung, was zwischen Neil und Connie geschehen war, aber noch
wenige Wochen zuvor hatte sie ihren Schwager für einen ehrenwerten Mann
gehalten und aus tiefstem Herzen bewundert. Doch sie konnte sich schlecht
anmaßen, darüber zu richten, was Connie zu tun oder zu empfinden hatte. Ganz
besonders, da sie nicht wusste, was wirklich zwischen den beiden vorgefallen
war.
Vielleicht
würde sie Neil später einen Besuch abstatten und versuchen herauszufinden, ob
wirklich alles bereits wieder so harmonisch war, wie Connie behauptete. Diese
Idee gefiel Francesca. Doch zunächst einmal wandte sie sich wieder ihrer
Schwester zu. »Du bist ja schon früh unterwegs. Bist du zum Frühstück
gekommen?« Im selben Moment fragte sie sich, warum Connie nicht mit Neil an
ihrem eigenen Frühstückstisch saß und die Tribune las.
»Und ob ich das bin, also zieh
dich endlich an!«, erwiderte Connie. »Ach, übrigens, Papa ist ziemlich
verärgert. Er kann die heutige Ausgabe der Sun nicht finden, und du
weißt doch, wie sehr er an seinem morgendlichen Ritual hängt.«
Francesca
schenkte ihr ein falsches Lächeln. »Armer Papa! Da muss der Zeitungsjunge wohl
einen Fehler gemacht haben. Vielleicht ist er ja neu.« Sie kreuzte heimlich
die Finger hinter dem Rücken, denn besagte Zeitung befand sich in Wahrheit
zurzeit unter ihrem Himmelbett.
»Ja, daran
wird es wohl liegen«, sagte Connie.
Francesca
fragte sich, wie groß wohl die Chance war, dass ihr Vater
im Büro oder am Zeitungsstand doch noch eine Ausgabe der Sun zu Gesicht
bekommen würde.
In dem Fall würde er wohl kaum
die Schlagzeile übersehen können, die auf der Titelseite prangte:
MILLIONÄRSTOCHTER STELLT
RANDALL-MÖRDER MIT BRATPFANNE
Francesca stand an der Ecke der 23rd Street. Über ihrem Kopf
donnerte die 9th Avenue El hinweg und hinterließ eine Wolke aus Rauch und Ruß.
Francesca war froh, als sich die Hochbahn, die sie soeben verlassen hatte,
endlich entfernt hatte.
Hoch
beladene Fuhrwerke rumpelten über die vereiste Straße, die von einer Schicht
aus schmutzigem Schnee bedeckt war. Francesca musterte die anderen Fußgängern,
bei denen es sich offenbar hauptsächlich um eingewanderte Arbeiter handelte. In
diesem Viertel wurde genauso viel Deutsch wie Englisch gesprochen. Zwei Frauen
in graubraunen Mänteln und Schals, die sie sich um die Köpfe geschlungen
hatten, unterhielten sich auf Russisch, während sie auf ein rotes Sandsteinhaus
zueilten, von dem Francesca wusste, dass darin eine Fabrik untergebracht war.
Sie blickte sich nach einer Mietdroschke um.
Francesca hatte einen schlimmen
Morgen hinter sich. Weil ihr der Leitartikel in der Sun nicht aus dem
Kopf gegangen war, hatte sie sich einfach nicht richtig konzentrieren können.
Donnerstags besuchte sie zwei Seminare, Biologie und Französische Literatur.
Doch da sie Bragg in den vergangenen Wochen geholfen hatte, zwei Kriminalfälle
aufzuklären, hinkte sie nun in beiden
Fächern hinterher. Ihre Biologielehrerin hatte ihr sogar eine Verwarnung
erteilt, weil sich ihre Noten
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