Brenda Joyce
dramatisch verschlechtert hatten. Francesca
ärgerte sich darüber, denn schließlich hatte sie sich nicht heimlich
eingeschrieben und die Studiengebühr zusammengekratzt – die sie sich sogar zum
Teil von Connie hatte leihen müssen – um dann zu versagen.
Es ist wirklich nicht leicht,
gleichzeitig Studentin und Privatdetektivin zu sein, dachte sie grimmig.
Gedankenverloren
starrte sie vor sich hin, während sie auf eine Droschke wartete. Sie ahnte,
dass ihr Vater die Sun sehen würde, und wenn das geschah, würde sie ihn
gewiss nicht dazu überreden können, die jüngsten Unternehmungen seiner Tochter
geheim zu halten – auch wenn sie eigentlich sein kleiner Liebling und sein
ganzer Stolz war. Mit Sicherheit würde er schnurstracks zu seiner Frau gehen,
und Gott allein wusste, was dann geschah. Dieser Gedanke bereitete Francesca
große Sorgen. Ihre Mutter würde furchtbar wütend werden – und Julia van Wyck
Cahill war eine Frau, die man besser nicht verärgerte. Sie vermochte Berge zu
versetzen, wenn ihr der Sinn danach stand, und war dafür bekannt, dass es ihr
stets gelang, Menschen mit verschiedenen gesellschaftlichen, finanziellen und
politischen Beweggründen zusammenzubringen, so dass es allen zum Vorteil
gereichte. Ob sie wohl schon jemals versagt oder einen Kampf verloren hatte? Francesca
konnte es sich nicht vorstellen.
Aber was konnte Julia in diesem
Fall schon unternehmen? Immerhin war Francesca eine erwachsene Frau. Schon als
Kind war sie ein angehender Blaustrumpf gewesen, immer bereit, sich für Benachteiligte einzusetzen, und zu allem entschlossen.
Mit sechs Jahren hatte sie begonnen, alles zu lesen, was ihr in die Hände
fiel, und seitdem liebte sie das geschriebene Wort. Mit sieben Jahren hatte sie
begriffen, dass es in Chikago – wo ihre Familie ursprünglich herstammte – Kinder
gab, die keine Eltern hatten und hungern mussten. Francesca hatte ein Jahr lang
vor der Kirche Limonade verkauft, um Geld für diese Waisen zu sammeln.
Ihre Eltern
hatten sie nur ein einziges Mal hart bestraft – damals war sie acht Jahre alt
gewesen –, als sie sich kurz nach dem Umzug nach New York aus dem Haus
geschlichen hatte, um die neue Stadt zu erkunden. Zur Strafe durfte sie zwei
Tage lang nicht zur Schule gehen – und es hätte keine wirksamere Bestrafung
für sie geben können, da sie, während andere Kinder den Unterricht hassten,
immer sehr gern zur Schule gegangen war.
Als
Francesca eine schwarze Droschke sah, die von einer braunen Stute gezogen
wurde, schrak sie aus ihren Gedanken hoch. Sie hob die Hand und eilte auf die
Straße, wo sie prompt auf dem Eis ausrutschte und unsanft auf dem Gesäß
landete. »Verflixt!«, stieß sie hervor und schüttelte benommen den Kopf.
Vielleicht wäre sie nach dem College doch besser sofort nach Hause
zurückgekehrt. An diesem Tag schien sie das Pech zu verfolgen.
»Haben Sie sich etwas getan,
Miss?« Eine Hand schloss sich um ihren Ellbogen.
Francesca blickte auf und
schaute in die Augen eines Mannes mittleren Alters, der einen braunen Anzug,
einen Mantel und eine Melone trug. »Nein, nein, vielen Dank«, antwortete sie
und ließ sich von dem Herrn aufhelfen.
»Sie sollten vorsichtiger
sein«, mahnte er höflich, tippte sich an den Hut und schritt davon.
In der
Zwischenzeit hatte die Droschke neben Francesca gehalten. Sie öffnete die Tür
und stieg hinein. Ihre linke Hüfte schmerzte ein wenig. »Zur Mulberry Street
Nummer dreihundert bitte«, sagte sie. Ihr Herz begann heftig zu pochen, als
sie die Worte aussprach.
»Ist da nich das
Polizeipräsidium?«, fragte der Kutscher. Er hatte einen starken irischen
Akzent.
»Jawohl, so ist es«, entgegnete
Francesca mit einem breiten Lächeln.
Der
Kutscher drehte sich zu ihr um und sah sie an. »Sie machen mir aber 'nen
ziemlich fröhlichen Eindruck für jemanden, der zu den Polypen unterwegs ist«,
sagte er.
Francesca
ließ sich gegen die lederne Rückenlehne sinken. Die verschneiten Straßen
schluckten das Hufgeklapper der Stute, und als eine Straßenbahn aus der anderen
Richtung kommend an ihnen vorüberfuhr, verspürte Francesca eine erwartungsvolle
Anspannung, die ihren ganzen Körper ergriff. Sie hatte Bragg seit zwei Tagen
nicht mehr gesehen, doch sie kamen ihr eher wie zwei Jahre vor. Nie zuvor hatte
sie ihm ohne einen besonderen Anlass einen Besuch im Präsidium abgestattet. In
der Vergangenheit hatte sie ihm immer von einer neuen Spur erzählen wollen, die
mit einem Kriminalfall zu tun hatte und
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