Brenda Joyce
von der sie wusste, dass Bragg darauf
brannte, davon zu erfahren.
Aber sicher
würde es Bragg nichts ausmachen, wenn sie ihm nun einen Höflichkeitsbesuch
abstattete – was eigentlich natürlich überaus wagemutig von ihr war. Doch sie
sagte sich, dass es im Grunde ja gar kein richtiger Höflichkeitsbesuch war.
Gewiss hatte Bragg den Artikel in der Sun auch gelesen und könnte ihr
vielleicht sogar einen Rat geben, wie sie die Situation in Bezug auf ihre Eltern
handhaben sollte. Wahrscheinlich würde er ohnehin mit ihr über den Artikel
reden wollen.
Und
möglicherweise machte er sich ja sogar Sorgen um sie. Ein wenig außer Atem
betrat Francesca eine Weile später die belebte Vorhalle der Wache. Sie gab sich
Mühe, einen energischen und geschäftsmäßigen Eindruck zu hinterlassen. Das
Präsidium war in einem Sandsteinhaus in einem Viertel untergebracht, in dem
sich Gauner und Hochstapler, Zuhälter und Prostituierte herumtrieben. Francesca
war immer wieder aufs Neue erstaunt, dass die Diebe, Schwindler und Straßenmädchen
aus der Nachbarschaft unter den Augen der Polizei ungeniert ihren zweifelhaften
und illegalen Geschäften nachgingen. In der Tat sprach die ganze Stadt über
diesen Umstand, und seit seiner Ernennung zum Commissioner hatte Bragg die
Streifen in diesem Viertel bereits verdoppelt.
In der
Vorhalle klickten Telegrafen und läuteten Telefone. Mehrere Sergeants standen
hinter dem langen Tresen und befassten sich mit Anfragen und Beschwerden von
Bürgern. Ein schäbig wirkender Betrunkener wurde am anderen Ende der Halle,
nicht weit vom Aufzug entfernt, abgeführt. Zwei Reporter standen mit gezückten
Notizblöcken in der Hand hinter dem Kriminellen und feuerten Fragen auf die
Beamten ab, die die Verhaftung vornahmen.
In einem
der beiden erkannte Francesca Arthur Kurland, der den Artikel über sie auf die
Titelseite der Sun gebracht hatte. Sie hatte eigentlich vorgehabt, sich
am Tresen zu erkundigen, ob sie zu Bragg hinaufgehen konnte, da man schließlich
nicht einfach so in das Büro des Commissioners der
Polizei von New York platzte, aber in diesem Moment wäre sie am liebsten die
Treppe hinaufgerannt, bevor Kurland sie entdeckte. Dieser Mann schien jedes Mal
vor Ort zu sein, wenn Francesca Bragg besuchte, und würde sich möglicherweise
daraus etwas zusammenreimen.
Oder die
Wahrheit vermuten.
Kurland,
ein schlanker Mann in den Dreißigern, hatte ihr den Rücken zugekehrt, da er
immer noch mit einem der Beamten sprach, die den Betrunkenen abführten.
Francesca ignorierte das sie umgebende Chaos und eilte zur Treppe. Als sie den
ersten Treppenabsatz erreicht hatte, warf sie noch einmal einen Blick in die
Halle hinunter.
Kurland,
der seine Befragung offenbar beendet hatte, stand jetzt am Fuß der Treppe und
blickte nachdenklich zu Francesca hinauf. Als sich ihre Blicke trafen,
lächelte er und winkte ihr zu.
Francesca spürte, wie sie rot
wurde und stieg eilig weiter die Treppe hinauf. Sie befürchtete, dass Kurland
ahnte, wem sie einen Besuch abstatten wollte. Wahrscheinlich würde sie am
nächsten Tag einen Artikel mit einer Überschrift wie »MILLIONÄRSTOCHTER
VERLIEBT IN VERHEIRATETEN COMMISSIONER« in der Sun lesen können.
Als sie
den ersten Stock erreicht hatte, vollführte ihr Herz einen Sprung, und sie
verbannte Kurland aus ihren Gedanken. Bislang war er nichts weiter als ein
Ärgernis. Vielleicht sollte sie in Zukunft versuchen, ihn zu meiden. Und
vielleicht sollte sie nun, da sie wusste, dass Bragg verheiratet war, nicht
mehr so häufig im Polizeipräsidium vorbeischauen.
Das war
ein ernüchternder und nicht gerade beglückender Gedanke, denn Francesca wollte
Braggs Freundschaft unter keinen Umständen verlieren. Er war ein Reformist wie
sie und noch dazu einer der aufrechtesten und engagiertesten Männer, die ihr je
begegnet waren. Sie bewunderte ihn über alle Maßen.
Und außerdem gaben sie zusammen
ein großartiges Ermittlergespann ab.
Vor Francesca lag ein langer
Flur mit etlichen Türen. Eine der ersten führte in Braggs Büro, das sich
gegenüber vom Konferenzzimmer befand. Am hinteren Ende des Flurs befand sich
ein offener Bereich mit Schreibtischen, an denen ein Großteil der
Kriminalbeamten dieser Wache arbeitete. In diesem Augenblick ging es dort
ziemlich ruhig zu; nur ein gedämpftes Stimmengemurmel, das Stakkato einer
Schreibmaschine und ein kurzes, derbes Lachen waren zu hören.
Die Tür zu
Braggs Büro stand offen. Er saß auf einem Drehstuhl mit Rattanlehne an
Weitere Kostenlose Bücher