Brenda Joyce
Handschellen
auf Bänken. Ganz rechts befand sich eine Zelle, die jedoch leer war, und im
Hintergrund war das allgegenwärtige Klicken der Telegrafen, das Rattern der
Schreibmaschinen und das Läuten der Telefone zu hören. Der Lärm war Francesca
überaus vertraut, und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie ihn tatsächlich
genoss, ihn sogar vermisst hatte – ebenso wie sie es vermisst hatte, an einem
Kriminalfall mitzuarbeiten.
Captain Shea war der erste diensthabende Beamte, der sie bemerkte.
Er unterbrach seine Arbeit, um sie lächelnd zu begrüßen. »Miss Cahill! Wir
haben uns ja seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen. Wie geht es Ihnen?«,
fragte er.
Sie erwiderte sein Lächeln und trat rasch auf ihn zu. »Hallo,
Captain«, sagte sie. »Ich war für einige Zeit verreist.«
»Ja, das haben wir gehört«, erwiderte Shea und rückte seine
Hornbrille zurecht.
Sergeant O'Malley, ein recht korpulenter Zeitgenosse, näherte
sich ihnen. »Das Präsidium war ohne Sie nicht mehr dasselbe, Miss Cahill«,
sagte er.
»Ich habe es auch vermisst«, entgegnete sie und empfand ein
plötzliches Glücksgefühl. Hierher gehörte sie, zu diesen guten, redlichen
Männern, die sich der Aufklärung von Verbrechen verschrieben hatten »Arbeiten Sie wieder an einem Fall?«,
erkundigte sich Shea.
»Ja, allerdings. Ist der Commissioner da?«
»Er ist oben«, antwortete Shea und warf O'Malley einen sonderbaren
Blick zu. »Ich werde einmal hinaufgehen und fragen, ob er Zeit für Sie hat.«
Shea trat hinter dem Tresen hervor und steuerte auf die Treppe zu,
wobei er den eisernen Käfig des Aufzugs ignorierte. Francesca war überrascht.
Sie war es gewöhnt, im Präsidium nach Belieben ein und aus zu gehen, und war in
den letzten Monaten immer ohne jegliche Förmlichkeit direkt zu Braggs Büro
hinaufgegangen.
»Liegt nicht an Ihnen«, sagte O'Malley leise. »Der Commissioner
hat schlechte Laune. Keiner hat ihn jemals so erlebt.«
Francesca erstarrte. »Schlechte Laune?«
»Ein Gewitter ist nichts dagegen«, bekräftigte O'Malley nickend.
Oje. Sie kannte den Grund für
seine üble Stimmung – es musste an ihrer Verlobung mit seinem Halbbruder
liegen. »Sieh mal einer an, was die Frühlingsbrise da hereingeweht hat.«
Der Tonfall zeugte von einer gewissen
Feindseligkeit und Verachtung, die zwar für einen Außenstehenden kaum wahrnehmbar
war, jedoch richteten sich beim Klang von Brendan Farrs Stimme alle Härchen
auf Francescas Haut auf. Sie drehte sich langsam zum erst kürzlich ernannten
Polizeichef von New York um. Ihr war selbst nicht recht klar, warum sie ihn
nicht leiden konnte, aber die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. »Morgen,
Chief«, sagte sie kurz angebunden.
»Lange nicht gesehen«, erwiderte Farr ausdruckslos. Er war ein
hochgewachsener Mann, um die eins neunzig, mit stahlgrauem Haar und stählernen
Augen. Er lächelte höflich. Francesca hatte noch niemals ein Lachen in seinen
Augen gesehen.
»Ich war verreist«, erklärte sie steif.
»Tatsächlich? Beruflich oder zum Vergnügen?« Noch immer umspielte
ein Lächeln seine Lippen.
»Weder – noch«, gab sie zurück und erwiderte das Lächeln kühl. Sie
wusste, dass er auf Informationen aus war, die sie ihm jedoch nicht zu geben
gedachte.
»Und was führt Sie ins Präsidium? Oh, lassen Sie mich raten: der
Commissioner – oder etwa ein neuer Fall?«
Je weniger dieser Mann über ihre Angelegenheiten wusste, desto
besser. »Ich muss den Commissioner sprechen. Ich werde jetzt zu ihm
hinaufgehen. Vielen Dank, Sergeant. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag,
Chief.« Francesca wartete gar nicht erst ab, ob man ihr gestattete, den
Commissioner aufzusuchen, sondern schritt zügig an den beiden Männern vorbei
und auf die Treppe zu.
Auf dem Flur in der ersten Etage kam ihr Captain Shea entgegen.
Hinter ihm stand die Tür zu Braggs Büro offen. Er nickte ihr zu. »Er hat Zeit
für Sie – wie ich es mir bereits gedacht hatte.«
Francesca bedankte sich bei ihm. Im selben Moment erschien Bragg
im Türrahmen seines Büros und starrte sie an. Francesca verharrte für einen
Moment.
Er wirkte erschöpft. Sein Haar war nachlässig gekämmt, seine Augen
dunkel gerändert, und er hatte tiefe Falten um den Mund. Ihre Blicke trafen
sich.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. War sie wirklich imstande,
seinen Halbbruder zu heiraten? Rick Bragg würde immer wie ein dunkler Schatten
zwischen ihnen stehen, ob er nun verheiratet war oder nicht.
Er machte keine Anstalten,
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