Brenda Joyce
ungläubig darüber lachen.
Und tief in ihrem Inneren weigerte auch sie sich, Hart zu glauben,
ihm wirklich zu vertrauen.
Was für eine Ehe sollte denn das nur werden?
»Dann hast du dich also bereits entschlossen?
Du vertraust ihm blindlings und willst dich von ihm zum Altar führen lassen?
Mir fehlen die Worte. Das hätte ich von einer Frau wie dir nicht erwartet, Francesca!«
Ein Teil von ihr war bereit, das Handtuch zu
werfen, zu kapitulieren und die Verlobung zu lösen. »Wir stehen schließlich
noch nicht vor dem Altar«, erklärte sie steif. »Wir beabsichtigen, in sechs
Monaten zu heiraten.« Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass ihre Hochzeit ja
bereits in fünf Monaten stattfinden würde, da sie das Datum vor einem Monat
festgesetzt hatten, als sie Harts Antrag annahm.
Und Bragg beharrte darauf, dass Leigh Anne und er in fünf Monaten
die Scheidung einreichen würden. Was, wenn es ihm wirklich ernst damit war?
Francesca schloss die Augen, atmete schwer.
Mit einem Mal kam ihr das Büro so klein vor, dass sie beinahe Platzangst bekam. Sie glaubte nicht daran, dass er Leigh Anne jemals verlas sen
würde. Zwischen den beiden gab es noch immer eine Bindung, die auch niemals
abreißen würde.
Machte das
Hart zur zweiten Wahl?
Ja, das tat
es wohl.
Aber war das so schlimm? Er wusste es doch bereits und machte sich
nichts daraus. Ebenso, wie sie selbst es wusste und sich nichts daraus machte.
Wem versuchte sie hier eigentlich etwas
vorzumachen? Auch wenn Hart sie nicht liebte, war es ihm doch durchaus nicht
gleichgültig, dass sie sich im Grunde für Bragg entschieden hatte und er nur
die zweite Geige spielte. Und ihr erging es doch in Wahrheit ebenso.
»Du siehst aus, als wärest du einer Ohnmacht
nahe. Es tut mir leid.« Bragg legte ihr den Arm um die Taille. Hastig riss sie
die Augen auf. Wie vertraut ihr seine Berührung war ... »Es tut mir leid, dass
du mir immer noch so viel bedeutest und dass ich dich überhaupt erst in diese
Lage gebracht habe.« Er blickte ihr in die Augen. »Du wirst mir immer am Herzen
liegen, Francesca.«
»Ich weiß«, flüsterte sie. Und plötzlich fand
sie sich in seinen Armen wieder. Ihr Busen lag an seiner Brust. Seine Oberschenkel
pressten sich gegen die ihren. Ihr Blick wanderte zu seinen Lippen. Sie kannte
ihren Geschmack, kannte das Gefühl seiner Zunge in ihrem Mund. Rasch hob sie
den Blick wieder. Er schloss sie fester in die Arme, und ein unsäglich warmer
Ausdruck trat in seine bernsteinfarbenen Augen.
Ihr war, als sei mit einem Schlag alle Luft aus dem Raum
entwichen.
Er beugte sich zu ihr herab, seine Lippen
öffneten sich. Nur ein Zentimeter trennte sie noch von den ihren. Sie roch Kaffee
und Eau de Cologne, eine Mischung aus Wald und Erde.
Dann sah sie plötzlich Harts spöttisches Gesicht vor sich, gefolgt
von dem Bild der zierlichen, wunderschönen Leigh Anne.
Francesca stieß Bragg von sich. »Lass das«, rief sie und wich
zitternd zurück.
Er wurde rot. »Es tut mir leid. Es ist einfach geschehen. Ich
scheine im Augenblick wirklich nicht klar denken zu können!«
»Es ist ja nichts passiert«, erwiderte sie, während ihr Herz noch
wie ein Trommelwirbel in ihrer Brust pochte. Doch das war eine Lüge. Für einen
kurzen Moment war ihr Verlangen nach ihm zurückgekehrt, und die Verlockungen
einer gemeinsamen Zukunft hatten ihr gewunken – ein Traum, der niemals
Wirklichkeit werden würde.
Dabei hatte sie sich eingebildet, diesen Traum endlich begraben
zu haben. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Ich arbeite an
einem neuen Fall, Bragg. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich heute
hergekommen bin und mit dir sprechen wollte«, erklärte sie forsch. »Ich brauche
deine Hilfe.«
Er starrte sie lange an, dann drehte er sich um und trat hinter
seinen Schreibtisch. Nachdem er das Fenster geöffnet hatte, wandte er sich
wieder ihr zu. Sein Gesicht war noch immer gerötet. »Ich werde dir jederzeit
auf alle erdenkliche Weise behilflich sein, Francesca – sei es als Commissioner
der Polizei oder als Freund.«
Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, denn sie wusste, dass er es
ehrlich meinte. »Ein Kind wird vermisst«, begann sie. »Sag mir, was ich tun
kann.«
Kapitel 4
FREITAG, 28. MÄRZ 1902 – 10:00 UHR
»Julia!« Andrew Cahill blickte überrascht auf und sah seine Frau
in der Tür zu seinem Arbeitszimmer stehen. Sie war bereits vollständig
angekleidet – und zwar überaus modisch, in einem taillierten,
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