Brenda Joyce
Treppe
zu, die zum Hauseingang hinaufführte. Sie fragte sich, warum er nicht ins Büro
gegangen war.
Dann stieg sie die acht Steinstufen hinauf und betätigte den
Türklopfer. Ihre Nervosität nahm zu. Sie hatte das, was sie Bragg sagen wollte,
immer wieder eingeübt, und während sie jetzt darauf wartete, dass die Tür geöffnet
wurde, ging sie die Sätze in Gedanken abermals durch.
Es tut mir so Leid. Ich hatte ja keine Ahnung. Kann ich Ihnen
irgendwie helfen?
Wahrscheinlich würde er sie auf jene traurige Art anlächeln, die
so typisch für ihn war, und ihr antworten, dass sie schon ihr Möglichstes getan
habe und er von nun an auf jede weitere Hilfe von ihr verzichten müsse.
Doch Francesca würde ihm unter keinen
Umständen zu persönliche Fragen stellen – nicht an diesem Tag. Und sie
beabsichtigte, kein Wort darüber zu verlieren, dass Montrose Elizas
derzeitiger Liebhaber war. Nach langem Nachdenken hatte sie beschlossen, dass
es ihr wichtiger war, die Ehe ihrer Schwester zu schützen. Ganz besonders, da
sie zu der Ansicht gelangt war, dass Montrose unmöglich der Entführer sein
konnte.
»Guten Morgen, Miss Cahill.«
Francesca blickte in Peters energisches, fein geschnittenes
Gesicht. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass er nicht wie ein Polizist
gekleidet war. Nein, mit seinem gestärkten, weißen Hemd und dem schwarzen Anzug
sah er eher wie ein Kammerdiener aus.
»Sie hier?«, fragte sie überrascht.
Er schwieg und blickte über ihre Schulter zur
Straße hinunter. Daraufhin sah sich Francesca ebenfalls um und stellte zu
ihrem Entsetzen fest, dass sich Kurland auf einer Parkbank niedergelassen
hatte. Er winkte ihr kurz zu und schlug dann gelassen seine Zeitung auf.
Francesca entfuhr ein Stöhnen, doch dann überkam sie plötzlich eine große Wut,
denn ihr wurde klar, dass der Reporter ihr vom Polizeipräsidium bis vor Braggs
Haus gefolgt sein musste.
»Ich fürchte, der Commissioner empfängt keine
Besucher, Miss Cahill«, sagte Peter mit fester Stimme, und bevor Francesca
etwas antworten konnte, schloss er die Tür vor ihrer Nase.
Im selben Moment hörte sie Bragg aus dem Innern des Hauses fragen:
»Wer ist es, Peter?«
»Miss
Cahill, Sir.«
»So warten Sie doch!«, rief Francesca, die
plötzlich begriff, dass Peter gar kein Polizist war, sondern Braggs Butler.
Mit klopfendem Herzen blieb sie auf dem
Treppenabsatz stehen und biss sich auf die Lippe, während ihr gleichzeitig die
Frage durch den Kopf schoss, was Kurland wohl davon halten mochte, dass sie
dem Commissioner einen Besuch abstattete. Doch dann beruhigte sie sich damit,
dass der Reporter schließlich nicht für die Gesellschaftsspalte schrieb, und
beschloss, dass ihr guter Ruf nicht gefährdet sei. Nicht, dass es grundsätzlich
ungehörig für eine Dame gewesen wäre, einen Gentleman zu Hause zu besuchen –
aber ohne jegliche Begleitung? Und noch dazu zu so früher Stunde? Ihre Mutter
würde sie umbringen, wenn sie davon erführe.
Während Francesca diese Gedanken durch den Kopf gingen, wurde die
Tür plötzlich wieder geöffnet, und Peter bat sie ins Haus.
Francesca trat ein, und als sie Bragg erblickte, verblassten
sofort sämtliche Gedanken an Kurland und ihre Mutter. Ihr Magen zog sich
unwillkürlich zusammen.
Bragg stand am Ende des kurzen Korridors in
der Tür zu einem Salon, in dem ein Kaminfeuer brannte. Francesca sah, dass er
noch dieselbe schäbige, grobe Wollhose wie in der vergangenen Nacht trug. Das
Hemd hatte er offenbar gewechselt, denn es war zwar zerknittert, hatte aber
keine Blutflecken. Die beiden obersten Knöpfe waren geöffnet, und Bragg hatte
beide Ärmel aufgerollt.
Bei seinem Anblick vibrierte Francesca am
ganzen Körper, und sie fragte sich, warum dieser Mann eine solch extreme
Reaktion bei ihr auslöste. Ganz besonders in diesem Augenblick, wo er eher
gefährlich und gar nicht wie ein Gentleman aussah. Selbst sein Haar war
ungekämmt, sodass ihni mehrere lange, goldene Strähnen in die Stirn fielen.
Offensichtlich hatte er sich zudem seit ein oder zwei Tagen nicht mehr
rasiert, und die Bartstoppeln trugen zu seiner recht verhärmt und verwahrlost
wirkenden Erscheinung bei.
Es schmerzte Francesca, Bragg
in einem solchen Zustand zu sehen. An den dunklen Schatten unter seinen Augen
konnte sie ablesen, dass er in der vergangenen Nacht keinen Schlaf gefunden
hatte. Ob er überhaupt zu Bett gegangen war?
»Francesca«, sagte er leise.
Sie zuckte zusammen, als sie seine Stimme
hörte, und ein Schauer
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