Brenda Joyce
überlief sie. Was mochte dieser sanfte Ton zu bedeuten
haben? Bragg blieb gegen den Türrahmen des Salons gelehnt stehen.
»Ich ... ich hoffe, es macht Ihnen nichts
aus«, sagte sie verlegen. Die geschliffenen Worte, die sie so sorgsam
einstudiert hatte, waren ihr entfallen, und sie war furchtbar nervös. Als sie
durch eine offen stehende Tür auf der linken Seite des Korridors schaute,
erblickte sie einen kleineren Salon mit Möbeln im viktorianischen Stil, die in
sehr dunklem Holz gehalten waren. In der Mitte des Raumes stand ein Piano. Auf
der rechten Seite ging es vom Korridor aus in ein gemütliches Esszimmer mit
grüner Velourstapete. Francesca vermutete, dass sich im oberen Stockwerk zwei
oder drei Schlafzimmer befanden.
»Warum sollte es mir etwas ausmachen?«, fragte
er lächelnd. Seine leicht schleppende Sprechweise war ausgeprägter als
gewöhnlich, seine Stimme sanft und weich.
»Für gewöhnlich störe ich einen Gentleman zu solch früher Stunde
nicht«, begann sie hastig.
»An Ihnen ist nichts gewöhnlich, Francesca.« Er hatte die Worte
beinahe geflüstert.
Francesca
verstummte.
Braggs Blick wich nicht von ihr. Immer noch umspielte ein leises
Lächeln seine Lippen. »Sind Sie gekommen, um mir einen weiteren Hinweis zu
bringen?«
Sie vermochte kaum einen klaren Gedanken zu
fassen und rätselte, was er mit seinen vorherigen Worten gemeint haben konnte.
Waren sie als Kompliment gedacht gewesen? Oder hatten ihn die Vorfälle der
vergangenen Nacht so stark mitgenommen, dass er nicht mehr wusste, was er
sagte?
»Leider
nicht«, erwiderte sie.
»Das ist
aber schade«, sagte er.
Sie
blinzelte verwirrt. Irgendetwas stimmte nicht.
Plötzlich stieß er sich von dem Türrahmen ab
und kam langsam auf sie zu. Francesca blieb regungslos stehen und blickte ihn
mit großen Augen an, während sich eine Anspannung in ihr ausbreitete, die ihr
schier den Atem nahm. Als er sie lächelnd an den Schultern packte, wurden ihr
plötzlich die Knie weich, aber Bragg hielt sie fest, und für einen kurzen
Moment lag sie in seinen Armen.
»Francesca«,
murmelte er leise.
Sie blickte ihm tief in die Augen. »Ja?« Ihre Stimme klang seltsam
hoch.
»Ich
versuche, Ihnen den Mantel abzunehmen.«
Sie blinzelte, und dann wurde ihr klar, dass
er in der Tat versuchte, ihr beim Ausziehen des Mantels behilflich zu sein, um
ihn Peter zu reichen, der immer noch hinter ihr stand. Francesca hatte ihn
völlig vergessen. Sie errötete heftig und sprang förmlich aus dem Mantel. Dann
zog sie sich die Handschuhe aus und nahm hastig den Hut vom Kopf, wobei zwei
ihrer Haarnadeln zu Boden fielen. Bragg und sie bückten sich gleichzeitig, um
sie aufzuheben, wodurch sich ihre Hände kurz berührten.
Sofort richtete sich Francesca wieder auf. Bragg nahm die
Haarnadeln und reichte sie Peter. Dieser zog sich unauffällig zurück. Francesca
hatte das Gefühl, dass sie sich wie ein dummes kleines Schulmädchen aufführte.
»Sie scheinen sehr müde zu sein«, platzte sie heraus, in dem
Versuch, die peinliche Situation zu überspielen.
»Das bin ich auch«, sagte Bragg, wobei er sie
intensiv anblickte. In diesem Augenblick war nicht einmal mehr der Ansatz
eines Lächelns in seinem Gesicht zu erkennen.
Francesca runzelte verwirrt die Stirn. Warum sah er sie so an? Was
hatte dieser Blick zu bedeuten? Was in aller Welt war mit ihm los?
»Möchten Sie nicht hereinkommen?« Er deutete
hinter sich. Sie wollte gerade zustimmen, als ihr Blick auf eine halb volle
Hasche Scotch fiel, die im Salon auf dem Sofatisch stand. Daneben stand ein
Glas mit einem Fingerbreit goldener Flüssigkeit. Francescas Blick wanderte zu
Bragg zurück. Zwar kam er ihr nicht betrunken vor, aber ganz offensichtlich
hatte er zu dieser Tageszeit bereits dem Alkohol zugesprochen, was nur
bedeuten konnte, dass er versuchte, seinen Kummer zu ertränken. Außerdem
erklärte es seine sanfte, leicht schleppende Sprache, sein verführerisches Lächeln
und seinen allzu durchdringenden Blick.
»Bitte«, sagte er und machte eine ausholende Bewegung, die wohl
bedeutete, dass sie vorausgehen sollte.
Francesca betrat langsam den Salon. Sie
beschloss, so zu tun, als habe sie die Hasche und das Glas nicht gesehen. Denn
obgleich sie es nicht befürwortete, wenn jemand seinen Kummer in Alkohol zu
ertränken versuchte, hatte Bragg sicherlich Grund dazu. Während sie vorsichtig
in einem Sessel Platz nahm, der nicht dem Tisch zugewandt stand, blieb Bragg
mit den Händen in den Hosentaschen stehen
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