Brenda Joyce
Nicken zustande. »Was sollen wir nur tun?«,
flüsterte sie.
»Es gibt
nichts, was wir tun können.«
Er nahm erneut auf dem Sofa Platz und stützte
die Ellenbogen auf die Knie. »Ich werde Miss Channing heiraten, Papa bezahlt
meine Schulden, und ich erbe mein Vermögen – das ich zweifellos
innerhalb von ein paar Jahren verspielen werde.«
»Sag so etwas nicht!«, fuhr Francesca ihn wütend an. »So etwas
solltest du nicht einmal denken! Du hast doch gewiss vor, mit dem Spielen
aufzuhören, wenn Papa diese Schulden für dich bezahlt hat, oder?«
Evan stützte seinen Kopf in die Hände.
»Natürlich habe ich das vor«, murmelte er zu Francescas Erleichterung. Doch sie
erkannte die Qualen, die er litt, und berührte sanft seinen Arm. »Wir werden
einen Ausweg finden, bevor die Verlobung bekannt gegeben wird. Die arme Sarah!
Es wird ihr das Herz brechen.«
»Ich möchte bezweifeln, dass es ihr das Herz bricht, denn im Juni
werden wir einander die ewige Treue schwören.« Evan blickte seine Schwester an.
»Du darfst niemandem etwas davon erzählen, Fran«, warnte er sie. »Bitte!«
»Natürlich wird mir Fremden gegenüber kein Wort über die Lippen
kommen«, sagte sie. »Aber ich werde mit Papa reden. Du weißt doch, wie lieb er
mich hat.« Sie errötete. »Es tut mir Leid. So habe ich es nicht gemeint.«
»Das macht doch nichts. Niemand ist so
ehrlich wie du, Fran, und deshalb lieben wir dich ja auch alle. Wenn irgendjemand
Vater umzustimmen vermag, dann du. Aber ich fürchte, du wirst nicht viel
ausrichten können.«
Francesca erhob sich. »Es muss mir einfach gelingen, Evan! Denn
ansonsten wirst du für den Rest deines Lebens unglücklich verheiratet sein.
Und ich möchte doch, dass du aus Liebe heiratest.«
Zum ersten Mal seit sie sein Zimmer betreten hatte, umspielte ein
kleines Lächeln seine Lippen. Er schüttelte den Kopf.
»Du bist wirklich eine hoffnungslose Romantikerin! Wer heiratet
denn in der heutigen Zeit aus Liebe? Hat es das überhaupt jemals gegeben?«
Francesca dachte an Connie und Montrose und an die Burtons. »Ich
weiß es nicht«, antwortete sie voller Verzweiflung. »Ich weiß es wirklich
nicht.«
Kapitel 14
DONNERSTAG, 23. JANUAR 1902 – 10 UHR
Bragg hatte
sich nicht in seinem Büro aufgehalten, aber es war nicht schwer gewesen
herauszufinden, wo er wohnte. Jetzt hielt Francescas Einspänner am Madison
Square, und sie blickte an dem Haus mit der Nummer 11 auf der Madison Avenue
hinauf, einem soliden Stadthaus mit einem schmiedeeisernen Zaun davor. Es stand
eingezwängt zwischen anderen Häusern am Rande des verschneiten Parks mit den
prächtigen Bäumen und den freigeschaufelten Fußwegen. Um diese Tageszeit lag
der Madison Park fast verlassen da. Francesca sah lediglich einen zerlumpten
Mann mit einem mächtigen Bart, der auf einer der Parkbänke zu schlafen schien.
Auf den beiden Boulevards herrschte dagegen bereits eine gewisse Geschäftigkeit
– es waren zumeist Dienstboten, die zu so früher Stunde ihren Pflichten
nachkamen.
Während sich Francesca umsah, erinnerte sie
sich wieder an die Gedanken, die ihr in der vergangenen Nacht durch den Kopf
gegangen waren. Sie hatte am Ende nur geschlafen, weil sie so furchtbar
erschöpft gewesen war – ein unruhiger Schlaf, aus dem sie immer wieder
aufgewacht war, und sie hatte sofort Bragg vor sich gesehen. Sie verspürte
unendliches Mitleid mit ihm und konnte sein Handeln und seine Reaktionen seit
Beginn der Burton-Tragödie gut verstehen – zumindest nach dem, was sie
mittlerweile erfahren hatte.
Aber eine Frage hatte Francesca nicht
losgelassen, obwohl sie wusste, dass es eigentlich ungehörig war, darüber nachzudenken:
Wusste Robert Burton über die wahre Herkunft der Zwillinge Bescheid? Außerdem
hatte sie sich immer wieder gefragt, ob es sein konnte, dass Bragg möglicherweise
das Ziel der Rache des Entführers war. Oder war es doch Burton – wie Joel
Kennedy behauptete?
Während Francesca jetzt in dem Einspänner saß
und hin und her überlegte, ob sie es wagen sollte, Braggs Privatsphäre zu
stören, glaubte sie, hinter einem der Fenster seines Hauses eine Bewegung
wahrzunehmen.
Ihr Herz vollführte einen Hüpfer.
Irgendjemand hatte sie gesehen, möglicherweise ein Dienstbote oder Bragg
selbst. Plötzlich musste sie an den gequälten Ausdruck in Braggs Augen am Abend
zuvor denken. In diesem Moment beschloss sie, dass sie Bragg unbedingt sehen
musste. Francesca stieg aus dem Einspänner und schritt langsam auf die
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