Brenda Joyce
sieben Jahren geschehen war oder erst vor wenigen Tagen.
Sie wusste, dass es falsch gewesen war, Bragg
nichts von Eliza und Montrose zu erzählen. Aber Montrose wäre wohl eher darauf
aus, Burton zu schaden und nicht Bragg. Gott, konnte dieses ganze Rätsel
überhaupt noch komplizierter werden? Und bei alldem wusste sie immer noch
nicht, was sie wegen ihrer Schwester unternehmen sollte.
Als Francesca plötzlich Stimmen hörte, blieb sie abrupt stehen.
Wer außer Evan mochte in Gottes Namen zu dieser Stunde noch wach sein? Es war
doch bestimmt beinahe zwei Uhr in der Frühe!
Die Stimmen wurden lauter, und Francesca
stellte fest, dass sie aus der Bibliothek kamen. Sie erkannte Evans aufgebrachte,
wütende Stimme. Francesca schlich auf die Tür zu, wagte aber nicht, sie zu
öffnen. Und dann vernahm sie deutlich, wie ihr Vater sagte: »Ich werde meine
Meinung nicht ändern, und das ist mein letztes Wort.«
Worüber mochten sich die beiden wohl streiten – und dazu noch zu
dieser späten Stunde?
»Na schön.« Das war Evan. Die Tür wurde
geöffnet. Francesca fuhr zurück und presste sich gegen die Wand. »Du kannst
wirklich stolz auf dich sein. Deinen eigenen Sohn so zu erpressen!«, fuhr Evan
mit gehässiger Stimme fort.
Francesca schnappte nach Luft, schaffte es
aber gerade noch, das Geräusch mit der Hand zu dämpfen.
»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden!«,
schrie ihr Vater.
»Oh, ich nehme an, ich soll vergnügt zum Altar
marschieren und so tun, als liebte ich meine Braut, nur weil du entschieden
hast, dass es das Beste für mich ist?«, brüllte Evan zurück.
»Ich werde die Vorzüge deiner Heirat mit Sarah
Channing nicht noch ein weiteres Mal diskutieren. Ich habe mich entschieden.
Du bist fünfundzwanzig Jahre alt und der verantwortungsloseste Mann, den ich
kenne. Solltest du es vorziehen, deinen respektlosen Lebenswandel
fortzusetzen, so sei es. Aber ich werde keine einzige Spielschuld mehr für dich
begleichen, nicht eine einzige, und das
schließt die Tausende von Dollar ein, die du derzeit schuldig bist. Gute Nacht,
Evan.«
Als die Tür endgültig aufflog und ihr Vater
aus der Bibliothek stolziert kam, presste sich Francesca noch flacher an die
Wand. Zum Glück sah er sie nicht. Aber sie konnte einen Blick auf sein Gesicht
erhaschen – es war vor Ärger purpurrot.
Francesca war schockiert. Andrew Cahill wurde doch eigentlich nie
wütend, er war einer der gutmütigsten Männer, die sie kannte. Und auch einer
der mitfühlendsten. Hatte sie soeben wirklich richtig gehört?
Er konnte doch Evan unmöglich erpressen! Nicht
seinen eigenen Sohn. Ihn zu einer Ehe zwingen! Das war einfach unmöglich.
Während sie darauf wartete, dass auch Evan die
Bibliothek verließ, kam sie sich vor wie im undurchdringlichen Nebel eines
Albtraums. Ihr Bruder würde sie gewiss entdecken. Minuten verstrichen, aber er
kam nicht heraus. Schließlich spähte Francesca vorsichtig in den Raum und sah
ihn mit einem Glas Scotch in der Hand auf dem Sofa sitzen. Die Verzweiflung
stand ihm ins Gesicht geschrieben, und er war so tief in seine Gedanken
versunken, dass er Francesca nicht bemerkte.
Sie atmete tief ein und huschte an der Tür
vorbei, quer durch die Halle und in ihr Zimmer hinauf.
Als sie endlich im Bett lag, zog sie sich die Decke über den Kopf
und schwor sich, bis zum Mittag zu schlafen.
Aber um sechs Uhr war sie schon wieder wach.
Während sie
schlaflos in ihrem Bett liegen blieb, hörte sie, wie ihr Bruder in seinen
Räumen hin und her lief. Ihre Gedanken waren in Aufruhr und wanderten von einem
Thema zum nächsten: Bragg und sein vermisster Sohn, Connie und Montrose, Evan
und Sarah Channing. Schließlich stand sie auf, zog sich an und ging zum Zimmer
ihres Bruders.
Nachdem sie leise an seine Tür geklopft hatte,
riss er sie beinahe sofort auf. Ihr Blick fiel auf sein offenes Hemd, das ihm
aus der Hose hing. Er errötete, drehte sich um und knöpfte es zu. »Fran! Es ist
erst halb acht. Hast du ein frühes Seminar?« Er wandte sich wieder zu ihr um.
»Keine Ahnung«, erwiderte Francesca wahrheitsgemäß. Das College
war zurzeit ihre geringste Sorge – auch wenn man sie hinauswerfen würde, wenn
sie das Studium nicht bald wieder ernster nähme. Sie schüttelte den Kopf. Sie
war so müde ... »Darf ich eintreten?«
»Gewiss.« Evans Verwunderung fand ihren Ausdruck in seiner
gerunzelten Stirn. »Worum geht es denn? Hat es nicht bis zum Frühstück Zeit?«
Francesca schloss die Tür hinter sich
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