Brenda Joyce
verlassen, Sir, aber ich werde ihr
Ihre Karte bringen lassen. Soll ich Mrs Channing Bescheid geben, dass Sie hier
sind?«
»Das ist nicht nötig. Ich möchte sie am
Sonntagabend nicht einfach stören«, wehrte Evan ab. Er war voller Ungeduld und
wahrte nur mühsam eine gleichgültige Miene. Innerlich fühlte er sich wie ein
Löwe, der ruhelos im Käfig auf und ab lief. Hatte Bartolla den Wink tatsächlich
verstanden? War sie überhaupt im Hause? Würde er eine Gelegenheit finden, sie
zu sehen, auch wenn es nur für einen kurzen Moment wäre?
Wenn Sarah nur nicht zwischen ihnen stünde!
Natürlich hatte Evan seinen Entschluss, die Verlobung
aufzulösen, nicht geändert, und er war überzeugt, dass seine frustrierende
Lage bald ein Ende haben würde. Doch er hatte das Gespräch
mit Sarah verschoben, da er ihr in ihrer momentanen Verfassung diese Aufregung
ersparen wollte.
Nicht dass ihm vor der Aussprache allzu sehr gegraut hätte –
Francesca hatte ihm nämlich verraten, dass Sarah eigentlich gar nicht zu
heiraten wünschte. Das hatte ihn zwar erstaunt, aber er vertraute seiner
Schwester, und diese war offenbar felsenfest davon überzeugt, dass es sich so
verhielt. Folglich musste Sarah doch eigentlich froh sein, so leicht
davonzukommen. Womöglich, so spekulierte Evan, hatte sie ihr Herz an einen
anderen verloren. Doch das konnte er sich nicht recht vorstellen. Sarah
interessierte sich nicht sonderlich für Männer. Die Malerei schien ihr
Lebensinhalt zu sein.
Was ihm ein wenig eigentümlich vorkam.
Andererseits – sollte sich Francesca doch
irren, so würde es sicher ein furchtbares Drama geben. Nun, daran durfte er
jetzt nicht denken. Er hatte zu hohe Schulden bei den falschen Leuten und
brachte den größten Teil seiner wachen Stunden damit zu, Pläne zu schmieden,
wie er sich seinen Gläubigern entziehen konnte.
Damit verbrachte er seine Zeit, und mit
Gedanken an seinen Vater.
Evan blieb abrupt stehen und ballte die
Fäuste. Der Zorn durchströmte seinen gesamten Körper. Warum hatte er so viele
Jahre gebraucht, bis er sich endlich der Knute seines alten Herrn entzog?
Irgendwo war einmal eine Grenze erreicht. Sein Vater hatte ihn sein ganzes Leben
lang getriezt, er jedoch hatte stets seinen Zorn hinuntergeschluckt, war
respektvoll und gehorsam gewesen. Er hatte immer getan, was Andrew von ihm
verlangte, und dennoch hatte dieser ihn nie auch nur ansatzweise ermutigt, nie
ein lobendes Wort geäußert. Wenn er bis zehn Uhr abends im Büro blieb, fragte
sein Vater lediglich, ob er diesen oder jenen Bericht fertig gestellt
habe. Und wenn nicht, fiel kein weiteres Wort darüber, doch die Missbilligung
stand in seinen Augen zu lesen.
Andrew Cahill blickte ihn niemals anders als missbilligend an.
Selbst als ihm in seinem letzten Jahr an der Columbia University endlich ein
Touchdown gelang, war von Lob keine Rede gewesen. Brad Lewis hatte in der
betreffenden Saison acht Touchdowns geschafft, und über nichts anderes hatte
Andrew Cahill an jenem Tag beim Abendessen gesprochen.
Evan konnte nicht gewinnen. Niemals. Und zwar aus einem erstaunlich
simplen Grund: weil er nun einmal nicht wie sein Vater war und es nie sein
würde.
Er war nicht in bitterer Armut auf einer Farm geboren, er hatte
sich nicht die Finger wund gearbeitet und jeden Penny gespart, während er
langsam, aber sicher aus eigener Kraft die Erfolgsleiter emporstieg. Es war
einfach nicht gerecht, seine Leistungen an Andrews Leben zu messen, denn er war
in einem Himmelbett in einem Herrenhaus am Lake Michigan geboren.
In diesem Moment hasste er Andrew Cahill
beinahe.
Vielleicht nicht nur beinahe.
Die Tiefe seines Gefühls machte ihm Angst.
Etwas Derartiges hatte er noch nie empfunden. Doch gerade sein Zorn – und sein
Hass – waren es, die ihn befähigt hatten, dem alten Mann die Stirn zu bieten
und sich endlich, nach all den Jahren, von ihm loszusagen. Und natürlich hatte
der Alte ihn gehen lassen.
Weil sein Sohn ihm nicht genug bedeutete, als dass er ihn gebeten
hätte zu bleiben.
Es schmerzte ihn so sehr, dass er den Gedanken nicht ertrug – die
Liebe, die Andrew für Connie und Francesca empfand, und dagegen die Verachtung,
die er seinem eigenen Sohn entgegenbrachte. Bebend wandte sich Evan zu einem
Fenster um, doch seine Sicht war verschleiert.
Trotzdem – er hatte das Richtige getan. Er
empfand nicht mehr für seinen Vater als dieser für ihn. Er würde nicht länger
für ihn den Prügelknaben abgeben, o nein. Zum Glück würde er
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