Brenda Joyce
die Gräfin vögeln zu müssen, so tun Sie es wenigstens in
einem anderen Haus«, fügte er hinzu. »So viel Anstand sollten Sie doch
zumindest besitzen.«
Evan schlug zu. Er zielte mitten in Rourkes Gesicht, doch dieser
besaß überraschend schnelle Reflexe. Er duckte sich und wich aus, sodass Evans Faust seinen hohen Wangenknochen
nur leicht streifte. Noch während sich Rourke wieder aufrichtete, hatte er auch
schon seinerseits ausgeholt. Evan bekam einen solch heftigen Schlag gegen die
Brust, dass er rückwärts durch die Halle taumelte.
»Halt! Hören Sie auf, alle beide!«, schrie
Bartolla voller Entsetzen.
Evan, der beinahe rücklings gestürzt wäre, konnte sich gerade noch
abfangen. Mit geballten Fäusten wollte er erneut zum Angriff übergehen, um den anderen grün und blau zu schlagen. Doch Rourke
stand ihm in ähnlicher Haltung gegenüber und wartete offenbar nur auf die
nächste Runde. »Entschuldigen Sie sich – nicht bei mir, sondern bei der Dame«,
verlangte Evan finster.
Rourke errötete. Er warf einen flüchtigen Blick auf Bartolla und
sagte dann: »Meine Bemerkung war recht unpassend. Es tut mir Leid.«
Bartolla
blickte ihn aus riesigen Augen an. »Danke.«
Rourke wandte sich mit
angewiderter Miene zum Gehen.
Bartolla hielt ihn am Arm
zurück. »Rourke, so warten Sie doch. Bitte versuchen Sie, uns zu verstehen. Wir
hatten keineswegs die Absicht – es war ein Fehler – es ist einfach so
geschehen, und wir beide lieben Sarah sehr!«
Er wandte
sich zu ihr um und schüttelte ihre Hand ab. »Ich bitte Sie! Ich bin ein Mann
von Welt. Nichts geschieht einfach so. Miss Channing verdient wahrhaftig
größeren Respekt, als Sie beide offenbar für sie aufbringen können. Ich
entschuldige mich lediglich dafür, mich einer Ausdrucksweise bedient zu haben,
die einem Gentleman nicht geziemt – keineswegs jedoch für den Inhalt meiner
Worte. Sie beide haben einander offenbar verdient.« Damit wandte er sich zornig
ab. Glücklicherweise hatte der Diener an der Tür jedes Wort mit angehört, und
es gelang ihm, die Tür rechtzeitig aufzureißen, ehe Rourke in seiner Wut geradewegs
dagegenlief.
Er hatte Recht, wenigstens teilweise. Sarah verdiente in der Tat
Respekt, und die Leidenschaft, die sich im Salon zu diesem unpassenden
Zeitpunkt Bahn gebrochen hatte, war eine Verfehlung gewesen. Evan warf
Bartolla einen düsteren Blick zu. »Ich gehe wohl besser.«
Sie nickte mit bleichem Gesicht. Dann sagte sie: »Er hat Recht.
Ich werde hinaufgehen und den Rest des Abends bei Sarah verbringen. Vielleicht
kann ich etwas für sie tun.«
Etwas in Evan schmolz dahin. »Das ist sehr gütig von Ihnen.«
»Sie liegt mir am Herzen«, gab Bartolla zurück. »Schließlich ist
sie meine Cousine.«
Evan zögerte. In diesem Moment wusste er ohne jeden Zweifel, dass
manches von dem, was Leute wie sein Vater über Bartolla Benevente munkelten,
ganz und gar ungerechtfertigt war. Sie konnte nichts dafür, dass die Natur ihr
einen solch begehrenswerten Körper gegeben hatte, und ihrer Herzensgüte tat
dies keinerlei Abbruch. »Das weiß ich«, erwiderte er.
SONNTAG, 16. FEBRUAR
1902 – 20 UHR
Als Francesca den Salon betrat, kam sie sich vor wie ein Ausstellungsstück
im Kurositätenkabinett. Aller Augen richteten sich sofort auf sie. Ihr war nur allzu deutlich bewusst, dass Hart dicht
hinter ihr eintrat, und im nächsten Moment fiel ihr – zu spät – ein, dass sie
noch immer seine schwarze Smokingjacke um die Schultern trug. Sie brachte es
fertig, den Braggs zuzulächeln, doch Rourke war der Einzige, der das Lächeln
erwiderte, und in seinen Augen lag dabei ein wissender Ausdruck. Francesca
wünschte, sie könnte Rathe und Grace Bragg erklären, dass sie und Hart
lediglich befreundet waren und dass auf der Terrasse nichts geschehen war. In
diesem Moment nahm Hart ihr sein Jackett von den Schultern. Bei der Berührung
seiner Fingerspitzen zuckte Francesca zusammen. Dann, noch ehe sie etwas sagen
konnte, bat Julia die Gesellschaft in den Salon. »Wollen wir hineingehen? Das
Essen wird aufgetragen«, verkündete sie.
Francesca bemerkte, dass ihre Eltern voneinander getrennt bei der
Gruppe standen, die sich in der Mitte des Salons versammelt hatte, und einander
keinerlei Beachtung schenkten. Sogleich senkte sich wieder die düstere Wolke
der Sorge über sie – so manchen Widrigkeiten vermochte sie zu trotzen, doch
einen Bruch in der Beziehung ihrer Eltern, in ihrer Ehe, hätte sie nicht verwinden
können.
Andrew bot
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