Brenda Joyce
sie aber nur
locker in den Armen.
Francesca fühlte sich zum Zerreißen angespannt
und hatte das Gefühl, jede kleinste Regung würde die Spannung ins Unerträgliche
steigern. Dennoch hob sie schließlich den Kopf und löste sich langsam von Harts
Brust. Ihr Blick glitt über seine Halsgrube, seine Kehle, das Grübchen in
seinem Kinn.
Für einen Moment verstärkte er seinen Griff,
dann ließ er sie los.
Er richtete sich so abrupt auf, dass sie ins
Taumeln geriet und sich gerade noch an der Schreibtischkante abfangen konnte.
Vor Benommenheit vermochte sie keinen klaren Gedanken zu fassen.
»Galten diese Tränen mir?«, erkundigte er
sich.
Sie starrte auf ihre Hände, die so fest um die
Tischkante gekrampft waren, dass die Knöchel weiß wurden, und nickte. Er
schwieg und rührte sich nicht von der Stelle.
Francesca wagte es, sich aufzurichten und umzuwenden. »Wenn ich
Ihnen irgendetwas bedeute – wenn Lucy, Shoz, Ihre Familie oder Ihr eigenes
Schicksal Ihnen irgendetwas bedeuten, dann dürfen Sie niemanden aus dem Weg
schaffen!«
»Ich glaube mich zu erinnern, dass Sie Ihren Standpunkt bereits
unmissverständlich dargelegt hatten.«
Erleichtert stellte sie fest, dass er sich wieder gefühllos wie eh
und je gab. »Es geht hier nicht um Standpunkte«, entgegnete sie nach kurzem
Schweigen. »Das wissen Sie ganz genau.«
»Touche.« Er steckte die Hände in die Hosentaschen, wobei sich der
Stoff über seinem Unterleib desto stärker spannte. »Noch wurde niemand aus dem
Weg geschafft, und niemandem droht ein Mordprozess.«
»Ich kann nicht zulassen, dass Sie das tun, Calder«, erklärte
Francesca hitzig. Dabei war ihr selbst bewusst, dass sie errötete, und sie
musste sich zwingen, seinem Blick standzuhalten. »Das ist mein Ernst.«
»Gott helfe dem Mann, den Sie genügend lieben, um ihn zu heiraten.«
Sein Lächeln erstarb. »Ich denke, die erste Maßnahme wird sein, Craddock zu
befragen. Bisher hat er mit einer verängstigten Frau sein Spiel getrieben –
wir wollen doch einmal sehen, ob er auch mit mir zu spielen wagt.«
Eine Welle der Erleichterung überkam sie.
»Gott sei Dank! Aber wie werden Sie ihn finden? Ich habe bereits eine Belohnung
ausgesetzt, doch wir konnten ihn bisher nicht ausfindig machen.«
Hart stutzte, dann vergewisserte er sich belustigt: »Sie haben
eine Belohnung auf ihn ausgesetzt?«
Francesca nickte. »Vergessen Sie nicht, mein Gehilfe kennt sich in
den übelsten Gegenden der Innenstadt aus.«
Er musterte sie. »Haben Sie vielleicht vergessen, dass ich in
ebendiesen Gegenden aufgewachsen bin?«, fragte er leise.
Für einen Moment, da sie ihm hier gegenüberstand – einem vermögenden
und mächtigen Mann in seiner riesigen Villa, umgeben von Reichtum und
erlesenen Kunstwerken –, war es ihr in der Tat entfallen.
Er lächelte ansatzweise. »Überlassen Sie diese
Angelegenheit ab jetzt mir, Francesca«, wies er sie in väterlichem Ton an. »Ich
habe bereits einen Burschen angeheuert, mit dem ich schon in der Vergangenheit
gearbeitet habe. Ich zweifle nicht daran, dass es mir gelingen wird, Craddock
aufzutreiben. Wir werden ihn finden – wenn auch möglicherweise nicht vor
Dienstagmittag.«
Francesca beschloss, die Tatsache zu
ignorieren, dass er sie mehr oder weniger mit einem Kopftätscheln nach Hause zu
schicken versuchte. »Sie werden ihm also am Dienstag gegenübertreten, sofern
Sie nicht bereits vorher eine Gelegenheit dazu finden?«
»Genau.« Er
nickte. »Das wäre der erste Schritt.«
Sie erstarrte. Die Erkenntnis
durchfuhr sie wie ein Messerstich. Sie schwankte ein wenig. »Und was wäre der
zweite Schritt?« Er starrte sie nur wortlos an.
Sie rührte
sich nicht, doch die Worte strömten unwillkürlich aus ihrem Mund. »Und dann
werden Sie ihn umbringen?«
»Ja.«
Kapitel 14
SONTAG, 17. FEBRUAR 1902
– MORGENS VOR 8 UHR
Bragg kam
gerade aus der Tür, als Francesca bei seinem Haus am Madison Square eintraf.
Erstaunt beobachtete er, wie sie aus der Kutsche stieg.
Als sie ihm entgegeneilte, stolperte sie in ihrer Hast. Er fing
sie auf, damit sie nicht stürzte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie
zuletzt so froh gewesen war, jemanden zu sehen. Hoffnungsvoll klammerte sie
sich an ihn – er würde Hart daran hindern, seinen wahnsinnigen Plan in die Tat
umzusetzen.
»Francesca? Was ist los?«
Sie umarmte ihn, schmiegte ihre Wange an den Wollstoff seines
Mantels und genoss das tröstliche Gefühl, das er ihr vermittelte. Niemand
anderem vertraute sie so
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