Brenda Joyce
Ehe ihm jemals gegeben hatte? Weil er intelligent genug war,
mittlerweile erkannt zu haben, dass er diese Frau überhaupt nur der
körperlichen Liebe wegen geheiratet hatte.
In der Aufzugkabine waren sie allein. Bragg starrte auf die Anzeige,
die langsam von 1 über 2, 3, 4 und 5 wanderte, ehe sie schließlich bei 6 stehen
blieb und das Licht über der Pfeilspitze aufleuchtete. Er lockerte seine
Krawatte. Ihm war der Schweiß ausgebrochen.
Sie hatte die ganz Zeit über auf ihre Schuhspitzen gestarrt. Nun
lächelte sie ihm unsicher zu und trat, nachdem er das Türgitter aufgeschoben
hatte, aus dem Aufzugkorb. Er ignorierte ihr Lächeln ebenso wie ihren Blick –
das alles war nur Schauspielerei, wenn auch vollendete Schauspielerei, denn sie
war eine vollendete Schauspielerin. Selbst jetzt bewunderte er die Aura von
Würde und Gelassenheit, die sie umgab.
Was wollte sie?
Sein Herz krampfte sich zusammen und begann schneller zu schlagen.
Er dachte nicht mehr an die Nachricht, die sie Francesca geschickt hatte – sie
war nicht länger von Bedeutung, denn nun beabsichtigte er sich seiner
kleinen Frau anzunehmen, und er würde nicht zulassen, dass sie in Francescas
Nähe kam und Schaden anrichtete. Er würde Francesca vor den Hinterhältigkeiten
und Manipulationsversuchen seiner Frau schützen.
»Du hast dich verändert, Rick«, bemerkte sie leise, während er mit
ihr den Flur entlangging.
»Ich bin noch derselbe Mann, den du geheiratet
hast.«
Sie lächelte scheinbar unschuldig. »Ich glaube eher, ich habe
einen Jungen geheiratet. Doch derjenige, der nun hier an meiner Seite geht, ist
zweifellos ein Mann.«
Er versuchte sich innerlich zu wappnen – wollte sie ihm schmeicheln
oder ihn beleidigen? Er erwiderte nichts.
Allerdings war er Francesca gegenüber nicht ganz aufrichtig gewesen.
Diese Frau hatte mehr getan als nur sein Herz gebrochen. Sie hatte es ihm aus
der Brust gerissen, um Stücke davon abzureißen und sie den wartenden Löwen
vorzuwerfen.
Kalt. Grausam. Selbstsüchtig.
Das war der Grund, weshalb er sie so hasste.
Weshalb er sie nicht in seiner Nähe ertragen konnte. Und weshalb er beabsichtigte,
sie mit dem nächsten Zug wieder nach Boston zurückzuschicken.
Er war in seine Frau verliebt gewesen, Hals
über Kopf, halt- und rückhaltlos. Selbst an den langen Abenden, die er im Büro
zugebracht und über Fällen gebrütet hatte, war sie im Geiste immer bei ihm
gewesen. Das Nachhausekommen – auch wenn es spät war und sie bereits schlief –
war für ihn die Krönung eines jeden Tages gewesen. Am schwersten war es ihm
gefallen, allmorgendlich aus dem Haus zu gehen, meist schon bei Tagesanbruch.
Ihm wurde bewusst, dass er schwitzte.
Der mit Teppich ausgelegte Flur war menschenleer. Während sie die
Tür aufschloss, zog er seinen Mantel aus. Der Duft ihres Parfüms stieg ihm in
die Nase – es war nicht mehr dasselbe wie damals, sondern roch süßlicher,
würziger. Es schien ihn einzuhüllen, doch zugleich nahm er ihren natürlichen
weiblichen Geruch wahr, der etwas Sexuelles an sich hatte.
Er biss die Zähne aufeinander bei dem Gedanken daran, wie viele
Affären sie wohl in den vergangenen vier Jahren gehabt hatte. Bei ihm waren es
drei gewesen: ein kurzes Abenteuer, um sich
über sein gebrochenes Herz hinwegzutrösten und die Kränkung seiner
Männlichkeit zu verwinden, eine Mätresse in Boston und seine letzte Mätresse,
die er in Washington gehabt hatte. Auf seine
Weise hatte er beide Mätressen geliebt – sie hatten ihm wirklich etwas
bedeutet, denn beide waren starke, intellektuelle und schöne Frauen. Sie waren
noch immer befreundet. Dann, vor gerade
einmal einem Monat, hatte er die Frau seiner Träume kennen gelernt –
Francesca –, und in der vergangenen Nacht hatte er sich danach verzehrt, sie zu
lieben. Aber nun stand er hier auf dem endlos langen Flur dieses vornehmen Hotels,
gemeinsam mit seiner Frau, die er mehr denn je hasste und die in die Stadt
gekommen war, um ihn zu vernichten.
Einen
anderen Grund konnte es nicht geben.
Sie warf ihm über die Schulter einen raschen Blick zu, lächelte
wieder mit ihren vollen Lippen, die auch ohne Zuhilfenahme von Rouge die Farbe
von Rosenknospen hatten, und trat in ein einladend ausgestattetes Zimmer mit
einem Himmelbett, einem kleinen Tisch mit zwei Sesseln, einer Ottomane und
einem Kamin. »Eine Suite wäre zu kostspielig gewesen«, bemerkte sie leise,
während sie ihren Chinchillamantel ablegte.
Als er ihr aus einem Reflex heraus aus
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