Brenda Joyce
und verschwand in dem Gang
zur Bibliothek.
Völlig benommen und keines Gedankens mehr fähig, sank Francesca
auf ein kleines Sofa, das zwischen zwei klassischen römischen Kaiserbüsten an
der Wand stand. Wie konnte Bragg ihr nach der vergangenen Nacht eine solche
Frage stellen?
Er war von den beiden Brüdern
derjenige, den sie liebte!
Sie vergrub ihr Gesicht in den
Händen. Denk nach, befahl sie sich. Konzentriere dich! Das Leben
eines Kindes steht auf dem Spiel!
»Miss Cahill?«, ertönte eine
freundliche Stimme. Es war Alfred. Sie blickte auf und rang sich ein Lächeln
ab. Glücklicherweise hatte sie nun keine Tränen mehr, nachdem sie an Harts
Brust so heftig geweint hatte.
»Kann ich
irgendetwas für Sie tun?«
Sie
schüttelte den Kopf.
»Dürfte ich
vielleicht meine Meinung äußern?«
Sie zögerte. Es galt ein Verbrechen aufzuklären, ein Kind zu finden.
»Ja, selbstverständlich, Alfred.«
»Sie sollten Mr Hart seine schroffen Worte
nicht verübeln. Ich bin überzeugt, dass ihm sehr viel an seiner Familie liegt,
und er macht sich selbst Vorwürfe, dass das kleine Mädchen verschwunden ist,
denn schließlich befand es sich hier in seiner Obhut.«
Francesca richtete sich kerzengerade auf. Die Erkenntnis traf sie
wie ein Schlag. Natürlich machte sich Hart Vorwürfe – sie kannte ihn gut
genug, um zu wissen, dass er hohe Standards setzte und sie selbst stets
erfüllte. Er fühlte sich für Chrissys Entführung verantwortlich. Doch er
war nicht schuld daran.
»Und außerdem glaube ich, dass er ziemlich eifersüchtig auf Mr
Bragg ist«, fügte Alfred noch hinzu, als plötzlich jemand heftig an die Tür
klopfte.
Francesca nickte. »Ich danke Ihnen, Alfred. Ich glaube, Sie haben
Recht.«
Er lächelte
ihr zu, dann ging er zur Tür, um zu öffnen.
Francesca
stand auf und sah einen hochgewachsenen, dunkelhäutigen Mann eintreten. Ein
Blick auf seine hohen Wangenknochen, seinen bronzefarbenen Teint und sein
jettschwarzes Haar, das bis zu den Schultern reichte,
verriet ihr, dass es sich um Lucys Mann handeln musste. Die Erscheinung hatte
etwas Gefährliches, Verwegenes an sich, was nicht allein an dem langen Haar
lag, und sein teurer, maßgeschneiderter Anzug ließ den Mann durchaus nicht weniger
wüst erscheinen. Er wirkte hart, rau, wie ein Gesetzloser. Außerdem war er
außerordentlich attraktiv, jedoch in einer düsteren, ja bedrohlichen Weise.
Francescas Blick fiel auf seine Cowboystiefel aus leuchtend blauem
Eidechsenleder mit Spitzen aus silberner Schlangenhaut, die seltsamerweise zu
dem anthrazitgrauen Anzug keineswegs unpassend wirkten.
»Sir?«
»Ich hörte, meine Frau sei hier«, erklärte er, wobei er Francesca
flüchtig mit dem Blick streifte. »Lucy Savage.«
»Sie befindet sich in der Bibliothek, Sir«,
teilte Alfred ihm mit.
Francesca folgte Shoz den Korridor entlang. Die Tür
zur Bibliothek stand offen, und sie erkannte auf den ersten Blick, dass sich
drinnen die ganze Familie versammelt hatte.
Grace saß neben Lucy auf dem breiten Sofa in der Mitte des Raumes,
den Arm um ihre Tochter gelegt. Bragg stand am Schreibtisch und telefonierte,
während Hart, Rathe, Rourke und ein auffallend gut aussehender junger Mann von
vielleicht achtzehn Jahren ein paar Schritte von ihm entfernt beisammenstanden
und leise miteinander sprachen.
Als Lucy ihren Mann sah, erstarrte sie. Sie war gespenstisch
bleich und hatte vom Weinen gerötete Augen. »Shoz? Aber ... was machst du denn
hier?«
Er erfasste die Szene mit einem Blick, dann eilte er auf seine Frau
zu. »Ich bin bereits vorige Woche aufgebrochen, um zu dir und den Kindern nach
New York zu kommen. Was hast du denn? Was ist geschehen?«, fragte er und half
ihr auf.
»Jemand hat Chrissy entführt!«, stieß Lucy hervor und klammerte
sich an das Revers seines Jacketts.
Seine
silbergrauen Augen weiteten sich.
»Und ich bin schuld«, rief Lucy und brach in Tränen aus. »Das
alles ist ganz und gar meine Schuld!«
»Du bist an überhaupt nichts schuld«, widersprach er energisch,
zog sie an sich und strich ihr über das Haar, das ihr wirr über den Rücken
hinunterhing. Sein Blick wanderte zu Rathe. »Was zum Teufel ist geschehen?«
»Jemand hat Lucy erpresst«, erklärte Rathe, trat auf Shoz zu und
legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Und heute früh um kurz nach neun wurde
Chrissy auf dem Weg zum Park entführt. Bisher liegt noch keine
Lösegeldforderung vor.«
Shoz' Gesicht verwandelte sich in eine finstere Maske mühsam
beherrschten
Weitere Kostenlose Bücher