Brenda Joyce
war es auf Dauer unmöglich, sie nicht zu mögen.
Sie war eine sehr kühne und ungewöhnliche Frau, die sich mutig gegen
Konventionen auflehnte – und zwar in aller Öffentlichkeit. Sie war es gewesen,
die Francesca und Bragg beim Ball der Channings in leidenschaftlicher Umarmung
auf dem Sofa überraschte. Sie hatte Francesca versichert, ihr Geheimnis sei bei
ihr sicher. An jenem Abend hatte Francesca der anderen Frau zum ersten Mal von
Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Es war unmöglich auszumachen, ob
sie Bartolla vertrauen konnte oder nicht. In diesem Moment jedoch benahm sich
die Gräfin, als hätte sie Francesca niemals in einer peinlichen Situation
ertappt. Konnte sie es vergessen haben?
Vielleicht, so sagte sich Francesca, erschien
ihr der Vorfall unbedeutend, da sie eine wohlhabende Witwe und Dame von Welt
war.
Diese
Vorstellung wirkte äußerst beruhigend.
Wie dem auch sein mochte –
Francesca konnte nicht anders, als die Frau mit dem rötlichen Haar anzustarren.
Immerhin waren sie und Leigh Anne Bragg Freundinnen.
Das hatte
die Gräfin ihr selbst erzählt.
Doch gewiss hatte Bartolla Leigh Arme nichts ausgeplaudert, denn
schließlich war sie auch Francescas Freundin.
»Sarah, Bartolla, dies ist
Braggs Schwester, Lucy Savage. Bartolla ist Sarahs Cousine, eine italienische
Gräfin«, fügte Francesca hinzu, wobei sie sich fühlte, als habe ein harter
Gegenstand sie mitten auf die Stirn getroffen.
Auf dem Ball der Channings
hatte Bragg bemerkt, dass es Bartolla missfiel, wie viel Aufmerksamkeit
Francesca zuteil wurde. Er hatte auch gesagt, sie sei nicht wirklich eine
Freundin.
Francesca begriff, dass sie mit
der anderen Frau sprechen und versuchen musste, sie vorsichtig auszuhorchen.
Lucy lächelte Sarah an, doch als sie sich
Bartolla zuwandte, nahm ihr Gesicht augenblicklich einen verschlossenen Ausdruck
an. Bartollas Lächeln erstarb ebenfalls. Die zwei Frauen – beide hochgewachsen,
beide sinnlich, beide unsäglich schön, die eine rothaarig, die andere dunkel
mit einem rötlichen Schimmer – blickten einander an, als hätten sie sich in
zwei Katzen verwandelt, die einander mit ausgefahrenen Krallen und entblößten
Zähnen gegenüberstanden. Es wurde still im Raum.
Francesca betrachtete erst Lucys kühle Miene, dann Bartollas noch
kältere und dachte: Mein Gott, sie sind beide so umwerfend schön – und eben
deshalb können sie einander nicht ausstehen. Zwischen ihnen herrschte eine
sofortige gegenseitige Abneigung – Hass auf den ersten Blick.
»Sarah? Ist Ihnen zu dem Vandalismus in Ihrem Atelier noch etwas
eingefallen?«, brach Bragg mit leiser Stimme das Schweigen.
Sarah schüttelte den Kopf. »Ich grübele
ständig darüber nach, doch meine Gedanken drehen sich im Kreis. Ich bin im Geiste unser
gesamtes Personal durchgegangen, aber es fällt mir schwer, zu glauben, ich
könnte irgendjemanden hier im Haus so beleidigt haben, dass er oder sie es mir
auf derart extreme Art vergelten will. Allerdings geht mir nicht aus dem Sinn, welche Beachtung ich von anderen bekomme ... seit
meiner Verlobung. Davor kam ich mir mitunter beinahe vor wie die Tapete
an der Wand – Leute streiften mich mit dem Blick, als sei ich gar nicht anwesend. Jetzt überschlagen sich die Damen,
mir zu meinem Glück zu gratulieren, sie beziehen mich in ihre Gespräche ein und
überhäufen mich derart mit Einladungen, dass
es undenkbar wäre, sie alle anzunehmen. Allmählich mache ich mir Gedanken
deswegen«, gestand Sarah.
Bartolla trat neben sie. »Sie ist ganz und gar anspruchslos. So
etwas habe ich noch nie erlebt – sie holt sich ihren Tee selbst, ihre Post, sie
vergisst, sich beim Ankleiden helfen zu lassen, sie verschenkt ihre Kleider an
die Hausmädchen ... sie ist stets freundlich, niemals launisch. Das Personal
vergöttert sie, Commissioner.«
Auch Francesca trat neben Sarah und legte den Arm um ihre schmalen
Schultern. »Worüber machst du dir Gedanken?«, fragte sie sanft.
Sarah begegnete ihrem forschenden Blick. »Das Ganze ist so unwirklich.
Geradezu surreal. Ein Meer aus lächelnden Gesichtern, strahlend – und
verkrampft. Vielleicht bin ich zurzeit überspannt, aber ich frage mich, ob
dieses Lächeln womöglich nicht mehr ist als eine Bewegung des Mundes, ein rein
körperlicher Vorgang ohne jede Bedeutung.«
Francesca starrte sie an. »Willst du damit sagen, du glaubst, dass
alle um dich herum nur heucheln?«
Sarah zuckte die Schultern. »Früher hat sich niemand für mich
interessiert
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