Brenda Joyce
lächelnd,
doch im selben Moment entgegnete Lucy stirnrunzelnd: »Nein.«
Bartolla winkte den beiden fröhlich zu und rief: »Ich wünsche einen
angenehmen Nachmittag!« Dann entfernte sich die Kutsche. Inzwischen war auch
die Mietdroschke vorbeigefahren. Das einzige andere Beförderungsmittel in
Sichtweite war eine Straßenbahn, die – natürlich – in Richtung Süden fuhr.
Die beiden jungen Frauen wechselten einen Blick. »Nun, mit welchem
Liebhaber trifft sie sich wohl jetzt?«, fragte Lucy spitz. »Sie ist mit meinem
Bruder zum Schaufensterbummel verabredet, und er ist nicht ihr Liebhaber.«
Lucy starrte sie an. »Sieht er gut aus?«
Ja – und er ist verlobt.«
»Oho! Evan Cahill ist gut aussehend und reich ... sind Sie denn
des Wahnsinns? Wie können Sie sie unter diesen Umständen nur mögen!«, rief
Lucy aus.
Francesca erwiderte steif: »Evan ist ein Gentleman. Er würde Sarah
niemals betrügen.« Sie unterließ es, zu erwähnen, dass die Verlobung ihm
zuwider war, dass er Sarah nicht mochte, dass er eine Mätresse hatte – eine bildschöne
Schauspielerin – und dass er eine Vorliebe für imposante, prunkvolle Frauen
hegte.
»Ich bitte Sie! Es ist doch abzusehen, worauf das hinausläuft. Wie
können Sie nur so blind sein?« Lucy funkelte sie an. »Ich will Ihnen mal etwas
sagen, Francesca: Bartolla hat hinter Ihrem Rücken ein Auge auf Rick geworfen –
und zwar in recht unpassender Weise. Zum Glück lassen Frauen wie sie ihn
völlig kalt, sonst würde sie ihn Ihnen ausspannen, und zwar schneller, als Sie "Schlange"
sagen könnten.«
Francesca starrte ihre neue Freundin an. Wieder kam ihr in den
Sinn, dass Bartolla mit Leigh Anne befreundet war. Zugleich erinnerte sie sich
nur allzu gut an den faszinierten, in gewisser Weise wohlgefälligen Ausdruck
der Gräfin, als diese sie und Bragg beim Ball der Channings in stürmischer
Leidenschaft auf dem Sofa ertappt hatte. Plötzlich beschlich Francesca ein
tiefes Unbehagen – und eine große Angst.
»Was haben Sie?«, fragte Lucy rasch.
Francesca zögerte. »Sie ist zufällig mit Leigh Anne befreundet.«
»Das hätte ich mir denken können!«, stieß Lucy hervor.
»Was soll das heißen?«
»Es heißt, dass nur eine Schlampe mit einer Schlampe befreundet
sein kann«, versetzte Lucy, deren Gesicht nun vor Zorn rot angelaufen war.
Francesca starrte sie mit großen Augen an.
Andererseits – warum sollte sie eine solche Reaktion von Braggs Schwester überraschen?
Sie berührte Lucy am Arm. »Sie mögen Leigh Anne wohl nicht?«
»Das ist maßlos untertrieben. Ich hasse sie«, zischte Lucy.
»Nach allem, was sie Rick angetan hat, wünsche ich ihr den Tod – auf der
Stelle. Und zwar nach Apachen-Art!«
Francesca
argwöhnte, dass Lucy ihre Gefühle keineswegs übertrieben darstellte. »Was
hat sie getan?«, flüsterte sie mit tauben Lippen.
»Was sie getan hat?«, wiederholte Lucy ungläubig. »Das fragen Sie
noch? Sie hat meinem Bruder das Herz gebrochen.«
Kapitel 5
SAMSTAG,
15. FEBRUAR 1902 – 16 UHR
Harts Anwesen, 973 Fifth Avenue, lag etwa zehn Straßenblocks
nördlich vom Haus der Cahills. Der fünfgeschossige Steinbau
war das einzige Haus im gesamten Straßenquadrat, da diese Gegend noch kaum
bebaut war und Harts Grundstück offenbar die
Hälfte des Blocks einnahm. Hinter dem Haus erstreckten sich weitläufige
Rasenflächen, es gab Tennisplätze, einen Pferdestall und ein Gäste-»Cottage«,
das allein fünf Schlafzimmer hatte. Ein
bronzener Hirsch zierte das Dach des Gebäudes. Als Francesca Harts Haus betrat
– eine riesige Villa, von der man sich kaum vorzustellen vermochte, dass sie
nur von einem einzigen Junggesellen bewohnt wurde –, empfing sie ein wüster
Tumult.
Die Zwillinge kamen in die weite Empfangshalle gerannt, die
reichlich groß genug gewesen wäre, um darin einen kleinen Ball zu veranstalten. Sie begrüßten kreischend ihre
Mutter, die ebenfalls ganz außer Rand und Band schien. Lächelnd sah
Francesca zu, wie Lucy niederkniete, um beide Kinder zugleich in die Arme zu
schließen, und ihnen in einem Atemzug ein Dutzend Fragen stellte. Doch
innerlich war Francesca noch immer angespannt.
Leigh Anne hatte Bragg das Herz gebrochen? Das war unmöglich.
Er hatte sie nie geliebt – das hatte er selbst gesagt.
Roberto war den Zwillingen in die Halle gefolgt und blieb nun
neben der lebensgroßen Statue einer ruhenden Frau stehen – eines
außerordentlich schönen nackten Mädchens mit großen Brüsten, das eine Taube in den
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